„Wo ist unsere Perspektive?“


Von Susanne Jansen

Was derzeit Vielen fehlt, ist das Wichtigste überhaupt: eine Perspektive. Unter Einzelhändlern und Dienstleistern herrscht große Unsicherheit. Die unterschiedlichen staatlichen Hilfen lassen auf sich warten. Erst Anfang Februar wurden in Abschlägen endlich November- und Dezemberhilfen ausgezahlt. Deren Beantragung und weitere Bearbeitung stellt einen Riesenaufwand für Steuerberater dar, die sich laufend Zusatzwissen aneignen müssen, unter anderem weil die gesetzlichen Rahmenbedingungen zwischenzeitlich geändert werden. Aber auch die Nachweispflichten bedingen einen großen bürokratischen Aufwand. So entstehen neben Hilfen, die viel zu spät ausgezahlt werden und hinten und vorne nicht reichen, zugleich hohe Steuerberatungskosten für die Begünstigten. Besteht kein Anspruch auf staatliche Unterstützung und sind die eigenen Rücklagen aufgebraucht, hilft in manchen Fällen nur noch ein Kredit weiter, um bis zum ungewissen Ende des Lockdowns über die Runden zu kommen. Allerdings ist die Höhe eines Kredits, mitsamt Tilgungsplan, derzeit schwer kalkulierbar, da eine Verlängerung des Lockdowns realistisch erscheint.

„Allein gelassen in der Krise“

„Die Hilfen rechnen sich in vielen Fällen nicht“, sagt Ulrich Swyen, Inhaber des Sonnenstudio Starsun-Nettetal. Aus seinem Umfeld weiß er: „Sie werden außerdem viel zu spät ausgezahlt, viele Leute trauen sich aber nicht, darüber offen zu sprechen.“ Überbrückungshilfe bekommt er nicht, da er mit seinem Nebenerwerb knapp weniger verdient hat, als mit seinem Hauptjob.“ Swyen erwartet hier mehr von der Politik. „Etwa 50 Prozent der Leute, in einer ähnlichen Situation wie ich, werden keine Hilfe bekommen. Damit könnten wir uns schon zusammen tun und eine neue Partei für allein Gelassene gründen. Vielleicht sind wir damit einen Schritt weiter“, stellt er mit dem Humor der Verzweiflung fest. Gehe es noch lange so weiter, müsse der Lobbericher ins Auge fassen, sein Haus zu verkaufen oder die Finanzierung bis ins hohe Rentenalter zu strecken. „Das haben wir uns auch anders vorgestellt.“ Er habe sogar schon darüber nachgedacht, das Sonnenstudio als Corona-Teststudio, für Abstriche, anzubieten. „Wir haben die Einzelkabinen und eine außerordentlich gute Lüftung. Ich habe über ein Sonnenstudio in Berlin gelesen, das so umfunktioniert wurde.“ Andererseits bringe dies eine langfristige Zweckgebundenheit mit sich und käme deshalb für ihn nicht in Frage. „Dann kann ich mein ursprüngliches Geschäft nicht mehr öffnen, sobald es wieder möglich ist, und als Folge laufen mir nachher die Stammkunden weg. Das will ich nicht!“

„Versprechen sollten eingehalten werden!“

Auch Jörg Brockes kriegt die wirtschaftlichen Folgen der Krise zu spüren. Er betreibt den Kletterwald in Hinsbeck und das Clip’n Climb Niederrhein in Dülken. „Ich wollte mir damals etwas Krisensicheres schaffen, um rund übers Jahr gut aufgestellt zu sein“, berichtet er, „vom Frühjahr bis zum Herbst der Kletterpark, für die übrige Zeit sollten große und kleine Kletterfreudige Indoor auf ihre Kosten kommen.“ Leider traf die Krise die gesamte Freizeitbranche, so dass nun beide Unternehmen geschlossen sind, und für ihn so bereits zweimal die Hauptsaison vom Lockdown betroffen war.

„Viele Menschen schämen sich. Sie wollen nicht über ihre persönliche Situation sprechen. Ich finde es aber wichtig, dass die Öffentlichkeit mitbekommt, wie schwierig es im Einzelhandel und Dienstleistungssektor ist. Wenn keiner den Mund aufmacht, kriegt ja niemand mit, wie es uns geht. Es sieht dann so aus, als ob alles in Ordnung ist. Das ist es aber nicht! Ich möchte auch andere Betroffene ermutigen: Es gibt keinen Grund sich zu schämen! Für die aus der Pandemie entstandenen finanziellen Schieflagen tragen wir nicht die Schuld, und durch Verschweigen spielen wir den Herren Politiker in die Hände!“, betont Brockes energisch.

Nun, Anfang Februar, wurde endlich ein Teil der Hilfen ausgezahlt. Der Inhaber des Kletterwaldes bekam für seine beiden Unternehmen Abschläge der November- und Dezember-Soforthilfen 2020. Die Hilfen variieren. „Ich erkenne keine Formel dahinter“, wundert sich Brockes, „die Auszahlungen fallen sehr unterschiedlich aus, wie ich mitbekommen habe. Das erscheint alles undurchsichtig und reicht bei Vielen hinten und vorne nicht!“ So kennt er den Fall eines Unternehmens, das 250.000 Euro beantragt und lediglich einen Abschlag von 10.000 Euro bekommen hat. „Das ist ein Witz! Wenn man Versprechungen macht, muss man auch versuchen, sie einzuhalten oder eben ehrlich sagen: Guckt, wie ihr klar kommt!“

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist DSC_6359-2-scaled.jpgIm November hatte Brockes Kurzarbeitergeld beantragt und den Lohn für die Mitarbeiter auch noch für Dezember vorgestreckt. Im Januar hatte er das Kurzarbeitergeld dann endlich selbst erhalten. Unternehmerlohn wird nicht gewährt. „Wir reden hier über 20.0000, 30.000 Euro. Die muss man ja auch irgendwo her holen. Daneben hört man, dass die Mitarbeiter der Abgeordneten als Bonus Corona-Geld kriegen, weil sie zusätzlich erschwerte Arbeit haben. Es sei ihnen auch gegönnt, dann muss aber auch darauf geachtet werden, dass bei den anderen das Geld ebenfalls ankommt!“

Die zeitlichen Verzögerungen in einem Softwarefehler zu sehen, wie seinerzeit veröffentlicht, könne doch keiner ernst nehmen, auch die gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen Bund und Land, meint der Lobbericher. Mit der Formulierung des Finanzministers, dass viele der bereit gestellten Hilfen ja gar nicht abgerufen würden, könne er deshalb herzlich wenig anfangen. „Ich vermute eher, mit der Bearbeitung der Anträge geht es nicht voran. Es wird mehr abgerufen, als bereitgestellt worden ist. Hier wird die Realität verwischt. Das hat etwas von langsamem Ausbluten lassen.“

Die Grundsicherung zu beantragen, so wie es in der Politik empfohlen wird, würde sich für ihn nicht rechnen. „Meine Krankenversicherung kostet alleine schon 1.000 Euro.“ Und wen die Hilfen nicht zeitgemäß erreichen, der könne auch nicht für die Aufnahme eines Kredits kalkulieren. „Einen Plan kann man der Bank nicht vorlegen, man weiß ja gar nicht, wann das Geschäft tatsächlich wieder laufen darf, wieviel man bis dahin braucht und wie man es zurückzahlen kann.“

Wichtig wäre es gewesen, zu den Versprechungen zu stehen, die Anfang letzten Jahres gemacht wurden. Erstmal die November- und Dezemberhilfe vom Umsatz abhängig zu machen, führt Brockes auf, sei auch ein Riesenfehler gewesen. „Die Unternehmen haben ja derzeit keinen Wareneinsatz mehr. Der Borussiapark hatte im vorletzten Jahr im November sieben Heimspiele. Für Millionen wurden Getränke gekauft, und davon kriegt das Unternehmen jetzt 75 Prozent, obwohl sie ja dieses Jahr gar keine Getränke kaufen müssen. Den Fehler bemerkte die Politik vier oder fünf Tage später. Dennoch wurde er nicht korrigiert. Warum?“ Brockes weiß, dass die Akzeptanz bei den Unternehmern, dies weiter mitzutragen, erschöpft und ein Ende der Geduld erreicht ist. „Ich könnte mir vorstellen, dass auch die Leute hier, wie kürzlich in Holland, auf die Straße gehen und es Krawalle gibt.“

„Es sollten alle an einem Strang ziehen!“

Als sich Anfang 2020 der erste Lockdown anbahnte, hatte Friseurin und Inhaberin der Schuhgalerie, Anja Vieten-Missoweit, jede Menge zu tun. „Alle wollten noch schnell zum Haar machen kommen, was aber im Nachhinein für einen falschen Eindruck sorgte.“ So habe eine Nettetalerin bei Facebook verlauten lassen: „Was wollen die Frisöre, die haben sich doch jetzt noch schnell die Taschen voll gesteckt.“ Vieten-Missoweit kann das nicht nachvollziehen. „Als ob du mit einer Woche einen ganzen Monat rausholen könntest! Und die ganzen fixen Kosten laufen ja weiter – Miete, Strom, Versicherungen. Niemand hat durch Hilfen doppelt kassiert!“ Für die kürzlich initiierte Aktion, in allen Friseursalons Deutschlands für 24 Stunden das Licht anzulassen, um ein Zeichen zu setzen, hat sie wenig Verständnis. „Was soll das? Gebäude rot zu beleuchten und auf dem Balkon zu klatschen – damit erreichen wir doch nichts! Die Leute führen sich doch nur selber vor!“

Hilfe für den zweiten Lockdown bekam sie nicht. „Der November war schon sehr ruhig, weil die Zahlen nach oben gingen. Trotzdem musste ja damals noch nicht geschlossen werden. Bis in den Dezember wurde gearbeitet. Deshalb bekomme ich nichts.“ Die Lobbericherin beantragte Kurzarbeitergeld, möchteDieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist IMG_20190827_124521.jpg aber, dass ihre Angestellten weiterhin zu 100 Prozent lückenlos ihr Gehalt bekommen. „Meine Mitarbeiter können nichts für die Krise. Sie haben Familien und Verpflichtungen, die kann ich doch nicht hängen lassen. Ich gehe in diesem Monat zum dritten Mal in Vorleistung, bekomme aber selbst keinen Unternehmerlohn. Ich kann froh sein, dass ich das noch hinkriege und daneben einen starken Partner habe. Mir tun die Frauen leid, die zum Beispiel allein erziehend sind. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie das hinkriegen.“

Als der erste Lockdown kam, investierte die Friseurin 5.000 Euro in Hygienemaßnahmen. Ich habe in meinem Salon Trennwende errichten lassen und jede Menge Desinfektionsmittel und Handschuhe gekauft, FFP2-Masken für meine Mitarbeiter und Masken für meine Kunden. Außerdem habe ich eine teure Luftfilteranlage einbauen lassen. Wir haben alles gemacht und mussten dennoch wieder schließen.“ In einem sehr großen Lobbericher Discounter habe sie kürzlich gesehen, dass Schuhe und Spielzeug verkauft werden. „Es war sehr voll. Es wurde weder das Tragen von medizinischen oder FFP2 Masken kontrolliert, viele trugen Stoffmasken, und Abstände wurden von der Masse auch nicht eingehalten. Ich habe mein Menschenmöglichstes getan, halte mich an sämtliche Regeln. Ich bin seit 30 Jahren selbständig und darf jetzt nicht arbeiten und Geld verdienen. Das ist eine unerträgliche Zumutung! Wir sollten wenigstens alle an einem Strang ziehen, damit wir bald endlich wieder regelmäßig loslegen können.“

Text: Medienagentur Niederrhein, Susanne Jansen

Archivbilder: pixabay, Susanne Jansen

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