– Theater unterm Dach: Der Fischler kommt –
Lobberich (sp). Ein exzentrischer und bekannter, nein, in Wahrheit der einzig wahre King des deutschen Schlagers hatte angekündigt, das „Nettetaler Wald- und Wiesenblatt“ zu besuchen. „Sein Erscheinen macht er allerdings davon abhängig, ihm glaubhaft zu vermitteln, dass der deutsche Schlager seit Jahrzehnten ungebrochen lebt“, kündigt Alexander Heimes aufgeregt an. Gemeinsam warten er und sein nicht weniger konfuser Kollege Björn Gotzes so in ihrer chaotischen Redaktion auf die Ankunft des Stars und vertreiben sich die Zeit damit, das mystische Geheimnis des deutschen Schlagers zu (v)erklären.
„Frikadelle! Du stehst gerade.“
„Heute kommt der Fischler, morgen Robbie Williams, und nächste Woche kommt Lady Gaga zum Abendessen“, spinnt der lässige Gotzes vor sich hin. Temporeich und mit viel albernem Wortwitz marschieren er und sein unterwürfiger Kompagnon spottend, singend und kalauernd durch vier Jahrzehnte deutschen Schlagers. „Dinge werden tatsächlich nirgendwo so deutlich auf den Punkt gebracht wie im deutschen Schlager“, sinniert Gotzes, der sich als Topbesetzung für die Paraderolle eines herrischen Provinzjournalisten erweist:“Frikadelle! Du stehst gerade!“, befiehlt er eins ums andere Mal. Dabei zieht sich der in Serie genossene Fleischklops wie ein roter Faden durch die komische Handlung, während Gotzes den devoten Heimes genüsslich durch das albern-ernsthafte Stück dirigiert. „Ich schätze Deine Unterwürfigkeit, aber mit dem Herr Gott solltest du vorsichtig sein. Du hast ab heute Büroarrest!“ Währenddessen sieht sich Keyboarder Ben Kurtenbach eins ums andere Mal genötigt, den Fluss albernen Nonsens unterbrechen zu müssen und fordert kopfschüttelnd: „Niveau, Niveau, Niveau!“
Bravouröser Drahtseilakt
Hier trifft hohes Niveau auf brüllend komischen Nonsens, aus der Feder von Kreativkopf Alexander Heimes. Wie in ihrem Debut-Programm „Stimmung im Keller – auf der Suche nach der letzten Show“ gelingt den Künstlern der Drahtseilakt, Theater, Musik, kabarettistische Hintergründigkeit sowie leichtfüßigen Humor bravourös zu verbinden. „Ich habe ein paar Monate an dem Stück gearbeitet, schließlich haben Björn und ich es noch ein wenig ergänzt, und nach sieben oder acht Proben hieß es Bühne frei!“, erzählt der gebürtige Nettetaler Heimes in der Pause. „Sehr beeindruckend. Ganz und gar kein Provinztheater, sondern Unterhaltung auf sehr hohem Niveau!“, resümiert ein begeisterter Zuschauer.
Amüsiert im Wechselgesang
Vom Publikum besonders belacht und beklatscht wurden, jeweils am 17. sowie am 18. März, zwei Litaneien, pointiert aus Fragmenten bekannter deutscher Schlager zu einem sinngebenden Allerlei zusammengefügt. So rezitieren die beiden unterschiedlichen Journalisten sichtlich amüsiert im Wechselgesang: „Verdammt ich lieb‘ dich, ich lieb dich nicht! Dieser Weg wird kein leichter sein. Er wird steinig und schwer. Das ist Wahnsinn! Warum schickst du mich in die Hölle?“ Einmal singt Heimes einen Titel mit „Palma de Mallorca“ an, woraufhin Gotzes meint: „So heißt der Text aber nicht!“, und Heimes kontert: „Man wird ja wohl noch improvisieren dürfen!“ Dem belustigten Publikum blieb verborgen, ob es sich tatsächlich um einen „Patzer“ oder eine Pointe handelte.
Ein Text, der noch nicht abgenudelt ist
Den drei Akteuren gelingt es, mit viel eigenem Spaß an der Sache vorzuführen, dass der deutsche Schlager seit Jahrzehnten konform ist und die Texte beliebig austauschbar sind. „Gleiche Akkorde überproportional gleich verwendet“, stellt Kurtenbach fest, „und damit ist die Melodie viel wichtiger als der Text.“ So wird aus einem scheinbar kultigen „Atemlos“ von Helene Fischer, „einem Text, der noch nicht abgenudelt ist“, eben doch eine x-beliebige Reimorgie aus Versatzstücken anderer Schlager. Hier wird in der Tat die scheinbare Eindeutigkeit von Schlagervariationen verwirrend verwischt.
Genauso gut kommen, neben den Schlagerstars, viele weitere Gäste des deutschen Musikgenres gesanglich zu Wort, wie zum Beispiel Udo Lindenberg, urkomisch von Gotzes persifliert: „Entschuldigen Sie, gehört das in die gelbe Tonne?“ Im gleichen Sinne schmettert er im Brustton der Überzeugung „Viva Colonia!“ zu „Amadeus“ von Falco, um die Konformität und Belanglosigkeit der Liedtexte vorzuführen. „Ich weiß jetzt, warum Schlager soziologisch sind, es sind Subtexte zu den immer gleichen Psychoszenarien“, stellt Heimes angesichts derartiger Verballhornungen fest.
Temporeiches Gag-Feuerwerk
Das war unglaublich komische Unterhaltung im Theater unterm Dach, bei dem ein temporeiches Feuerwerk an Pointen auf die Zuschauer abgefeuert wurde. Dem lautstark geäußerten Wunsch nach Zugabe, am Ende der sehr kurzweiligen Vorstellung im ausverkauften Haus, kamen die gut gelaunten Protagonisten gerne nach.
Eines bleibt dem mit fiebernden Zuschauer jedoch bis zum Schluss verwehrt: Howard Fischler, der größte deutsche Schlagerstar seiner Generation gibt eben niemals Interviews und ist und bleibt für niemanden erreichbar. So wirkt er als quasi gesichtsloses Gespenst wie eine Metapher für die Uniformität des Schlagergenres und die Beliebigkeit im Sinn freien Detail.
Eine Besucherin meinte: „Das war ein ganz toller Abend, ich habe schon lange nicht mehr so gelacht!“
Weitere Vorstellungen in Nettetal folgen am 31. März sowie am 1. April. Beide sind bereits ausverkauft.
Weitere Informationen: www.theateruntermdach.de