Susanne Jansen: Infos und News – regional stark, kompetent, mit ♥. Neues aus der Seenstadt und dem Kreis Viersen.

Aus dem Mikrokosmos heraus holen


– Pflegeelternsystem mit Köpfchen und Herz –

Hinsbeck (sp). Erzieher Cuno Briola und Sozialpädagogin Ruth Göbbels sind Pflegeeltern mit viel Herz. Sie sind selbstständig und arbeiten für das Jugendamt. Aktuell versuchen sie ein Netzwerk für junge Flüchtlinge aufzubauen. „Wir suchen dringend Pflegeeltern, die bereit sind, ein bis zwei Geflüchtete in ihre Familie aufzunehmen. Auf diese Art kann den jungen Menschen eine optimale Integration ermöglicht werden.“ In Brüggen, Viersen, Mönchengladbach und Duisburg gibt es bereits Ansprechpartner und Familien, so wie in Hinsbeck. „Viele Jugendliche sind noch in großen Camps“, erzählt Briola, „es gibt viele wechselnde Personen, die sich kümmern. Dort leben sie in einem Mikrokosmos in ihrer fremden Kultur, sprechen ausschließlich ihre Sprache – das ist eine abgeschlossene Welt für sich.“ Göbbels fügt hinzu: „Sie haben eine eigene Fußballmannschaft und sie haben Deutschunterricht in der Schule. In einer deutschen Familie jedoch bietet sich ihnen die Möglichkeit, den kompletten deutschen Alltag kennen zu lernen. Dort sind sie in alles, was deutsch ist, eingebunden.“

Was die beiden Pädagogen anbieten, geht jedoch noch über familiäre Betreuung hinaus. Ebenso arbeiten sie eng mit einer Traumapädagogin und einer Psychologin zusammen. „Wir treffen uns regelmäßig mit einem Dolmetscher, der ebenfalls einen Migrationshintergrund hat, und auch als Kulturvermittler fungiert. So können wichtige Sachen mit den Jugendlichen diskutiert werden“, weiß Göbbels aus Erfahrung.

Vor allem sei es wichtig für die Jungs zu wissen, wie sie sich in ihrem deutschen Umfeld benehmen sollen, in der Schule, gegenüber der deutschen Religion und vor allem gegenüber Frauen. „Die Jungs sind super höflich, haben aber eine andere Mentalität. Sie sind laut und extrovertiert“, ergänzt Göbbels, „das kann zwangsläufig zu Missverständnissen führen.“ Um solche Probleme in den Griff zu kriegen, stehen eben die Psychologin sowie die Traumapädagogin auf Abruf bereit. Diese sind innerhalb von 24 Stunden verfügbar. „Unser Dolmetscher ist noch fixer, der kriegt auch schon mal um 22 Uhr abends von uns einen Anruf. Und eben dieser Service hebt sich von dem ab, was Pflegeeltern oder große Einrichtungen sonst ausmacht.“

Die beiden Pädagogen haben selbst zwei 17-jährige Afghanen als Pflegejungs aufgenommen – Naved und Abdul. „Die Nationalität und auch das Alter können nicht mit absoluter Sicherheit bestimmt werden. Das ist es, was sie uns erzählen – die meisten haben keine Papiere mehr“, sagt Briola. Der Knackpunkt bei der Sache sei folgender: „So können sie natürlich auch nicht zurück geschickt werden, weil nicht klar ist, wohin. Ebenso können sie aber auch ihre Verwandtschaft nicht mehr wieder sehen, denn die darf nicht automatisch nachreisen, wie es ihnen die Schlepper erzählt haben. Und die vermissen sie natürlich sehr.“

In Deutschland kämpfe man sehr mit den Behörden und Ämtern. „Man wird hin und her geschoben, bei der Frage nach den Papieren. Jede Stadt macht diesen aufwändigen Verwaltungskram anders. Da ist echt Kreativität gefragt. Die Formulare gibt es auch im Internet, aber es gibt eben kein einheitliches bürokratisches System. Das ist eine echte Geduldsprobe für die jungen Männer“, beschreibt die Sozialpädagogin mitfühlend. Über ihre Erfahrungen tauschen sie selbst sich überregional aus. „Das sind alles so genannte Uncle-Sons, also quasi Cousins“, erklärt Briola lachend, es handle sich nicht um echte Verwandtschaften, aber sie geben sich familiär Tipps, bestmöglich mit den Ämtern umzugehen oder aber den Ort zu wechseln.“

„Die jungen Geflüchteten haben sehr viel Respekt vor dem Alter“, fügt er hinzu, „wenn ich zum Beispiel spülen will, bestehen sie darauf, es selbst zu tun. Sie sind auch sehr dankbar, haben aber permanent Angst, abgeschoben zu werden.“ Die Pflegemutter beruhigt dann und bittet, sich in Geduld zu üben und einen langen Atem zu haben: „Wenn du abgeschoben werden sollst, legst du eben Rechtsmittel ein.“ Ebenso verfügen die jungen Geflüchteten über viel Ehrgeiz. Ein ehemaliges Pflegekind der Hinsbecker Pflegefamilie, das die E-Schule besuchte, fragte die beiden Jungs: „Kann ich nicht für euch zur Schule gehen?“, erinnert sich Göbbels schmunzelnd. „Wenn es um eine Ausbildung geht, sind sie auch durchaus bereit, alternative Wege zu gehen, die man nicht für möglich gehalten hätte“, erläutert sie und hat auch sofort ein beeindruckendes Beispiel parat: „In unserem Bekanntenkreis ist ein Muslim, der eine Ausbildung zum Metzger macht.“

Die Flüchtlinge besuchen jeden Freitag die hiesige Moschee. „Aber sie sollen es nicht vor sich hertragen, um sich bestmöglich zu integrieren“, betont Göbbels. „Und wir sind für sie Mama und Papa. Die Familie sollte erst Kumpel sein, die jungen Männer brauchen aber noch Führung und Integration. Auch in den Arm genommen werden, müssen sie mal“, fügt sie mütterlich hinzu.

„Wir freuen uns über jede Pflegefamilie, die wir gewinnen können. Wir schaffen das! Und wir sagen das nicht nur, sondern wir schaffen das auch wirklich“, sagt Briola augenzwinkernd und meint: „Wir bewundern aber auch vor allem die Leute, die so viel ehrenamtliches Engagement in die Betreuung von Flüchtlingen legen. Chapeau! Ohne sie wäre dies gar nicht zu schaffen.“

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Engagieren sich beruflich mit viel Herz und Verstand für die Flüchtlinge: Cuno Briola und Ruth Göbbels. Foto: Susanne Peters