– Lesetipp von Susanne Jansen –
„Blumen für Algernon“ von Daniel Keyes, aus dem Klett-Cotta-Verlag, erscheint als berührendes und zugleich tief bewegendes Meisterwerk der Science-Fiction-Literatur. Die Geschichte erzählt von Charlie Gordon, einem geistig behinderten Mann, dessen Leben sich dramatisch verändert. So nimmt er als nächster Proband nach einer Maus, genannt Algernon, an einem experimentellen medizinischen Verfahren teil, das seine Intelligenz steigert.
Was sich entwickelt, ist eine konstruktivistische Reise durch Charlies Verstand, auf welcher der Leser als Zeuge seiner intellektuellen Reifung in seine Tagebuchaufzeichnungen abtaucht. Hier werden Gedanken und Freuden erlebbar, jedoch ebenso Ängste und Verwirrungen: Charlie entwickelt sich vom schlichten, freundlichen Mann zu einem hochintelligenten, aber zugleich emotional verletzlichen individuell hervorstechenden Charakter. In diesem Sinne ist die Frage nach dem Wesen von Intelligenz, im Kontext menschlichen Verhaltens, eines der zentralen Themen des spannenden Romans.
Keyes beschreibt und analysiert zugleich mit einer außergewöhnlichen Sensibilität und Einfühlsamkeit. Dabei lotet er genau die Herausforderungen und Segnungen von Intelligenz sowie die damit einhergehenden sozialen Dynamiken und ethischen Fragen aus. Der komplexe Einfluss des kreativen Denkens auf Identitätsbildung, Selbstbestimmung und Auswirkungen im sozialen Kontext führt durch freudvolle Höhen und schmerzliche Tiefen menschlicher Erfahrung. Dank der intimen Erzählweise erlebt der Leser den Wandel von der naiven Unschuld zu einem reflektierten, aber oft von Einsamkeit und Entfremdung innerhalb seiner Freundschaften, geplagten Genie: Während sich der Protagonist durch seinen gesteigerten intellektuellen Reichtum der Welt also auf neue Weise nähert, durchschreitet er zugleich die Schattenseiten dieses Vorgangs.
Durch die metaphorische Geschichte Algernons, der Maus, die denselben Eingriff wie Charlie erfahren hatte, bietet Keyes einen faszinierenden Einblick in das Wesen der Menschlichkeit und sowie in das Streben nach Perfektion und Wissen. Es geht um die kritische Betrachtung wissenschaftlicher Entdeckungen und um das Verständnis darüber, was es wirklich bedeutet, menschlich und damit individuell zu sein. „Blumen für Algernon“ ist ein gleichermaßen beeindruckender wie allgemeingültiger Klassiker, der empathisch die Grenzen zwischen moderner Wissenschaft, Ethik und Menschlichkeit erkundet.
Gerade darum entstehen beim Verschlingen des fesselnden Romans stets neue Fragen, wie zum Beispiel diese: Was ist menschliche Individualität? Was ist Intellekt, und wie entwickelt sich dieser, in einer Zeit, die sich augenscheinlich technisch blitzschnell auf der Überholspur an unserer natürlichen und grundsätzlich anpassungsfähigen Evolution vorbei entwickelt? Und wo bleibt im Zuge der Allverfügbarkeit und der Dominanz von Technik der berechtigte, schlichte Ursprungswunsch, sich die Frage zu stellen: Was will ich im Leben, und was will ich nicht?
Titelbild: Herzerwärmende, literarische Metapher über die Individualität des Menschseins. Text und Foto: Medienagentur Niederrhein, Susanne Jansen