Die Angst vor dem Helfen nehmen


– Realistische Umfeldgestaltung für den Ernstfall –

Kreis Viersen (sp). „Üben ist sehr wichtig! Aus Fehlern lernt man, die dürfen und sollen beim Trainieren durchaus passieren, auf keinen Fall aber in der Realität“, betont Kaldenkirchener Michael Stiels, der eine intensive medizinische Ausbildung genoss. Der THW-Mitarbeiter (Technischer Hilfsdienst, Ortsverband Nettetal) war früher Mitglied im Deutschen Roten Kreuz. Er ist gelernter Krankenpfleger sowie Rettungssanitäter und im OP des Nettetaler Krankenhauses tätig. Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit leitet Stiels außerdem die Einsätze des RUD-Teams Nettetal (Realistische Unfalldarstellung). Das Team besteht aktuell aus vier Technikern, sechs Schminkern sowie 20 Mimen (Schauspielern) und nutzt Räumlichkeiten des THW. „Bei unseren Vorbereitungen und Übungen geht sehr viel Freizeit drauf, ich erfahre aber auch von Seiten meines Arbeitgebers großes Verständnis für dieses besondere Ehrenamt, das mir sehr viel Spaß macht.“

Jedes einzelne Mitglied des Teams sei wichtig und alle seien mit viel Spaß, aber auch viel Energie bei der Sache. Die Technik sorge für eine authentische Umfeldgestaltung, im Zuge eines Unfalls oder einer Katastrophe, wobei auch zahlreiche Requisiten zum Einsatz kommen. Die Schminker richten die Mimen als schwer Verletzte her, welche bei den Übungen die Geschädigten in ihrer hilflosen Situation verkörpern. Alle Mitglieder des Teams arbeiten ehrenamtlich, lediglich Anfahrt und Aufwand müssen bei einem Einsatz bezahlt werden. „Ich würde keine Übung als Auftrag annehmen, die ich nicht begleiten darf, es liegt in meiner Verantwortung mit aufzupassen, dass nichts passiert.“

Stiels und sein Team waren zum Beispiel auch in Kaldenkirchen vor Ort, als am
Gründonnerstag die traditionelle Übung der Nettetaler Hilfs- und Rettungsdienste stattfand. Ebenso bereicherte das RUD-Team mit seiner Umfeldgestaltung die folgende Probe für den Ernstfall, an der rund 50 junge Mitglieder der Nettetaler Hilfsorganisationen teilnahmen. Inmitten der simulierten Katastrophe befanden sich zahlreiche Mimen, unter anderem auch zwei Kinder, die als vielfach Verletzte versorgt werden mussten. Diese wurden zuvor, wie gehabt, mit Schminke und diversen Hilfsmitteln als authentisch wirkende Unfallopfer hergerichtet. Die Techniker haben ebenso die Aufgabe, die Übung zu überwachen. Es kommen viele Maschinen zum Einsatz und auch dabei könne durchaus etwas passieren.

Stiels ist überzeugt: „Unsere Technik, die Schminker und die Mimen leisten einen wertvollen Beitrag zu den Übungen. Eine Probe für den Ernstfall wirkt umso realistischer, desto echter sich die Opfer präsentieren. Deshalb werden die Schauspieler vor ihren Einsätzen auch in Workshops von mir vorbereitet.“ Außerdem lasse sich die Technik immer wieder neue Finessen einfallen. „Es kommen immer wieder neue technische Geräte zum Einsatz. Außerdem arbeiten wir immer weiter daran, die Echtheit des Ernstfalls noch zu optimieren.“ So werde
aktuell zum Beispiel an einer Pumpe gearbeitet, die künstliches Blut nach pumpt, wenn bereits der Druckverband angelegt ist, was die Ansprüche noch vergrößere. Auch kreiere sein Team mit Hilfe von Koffern, die für das Schminken, Pfählungen und Amputationen bestückt sind, immer wieder neue Herausforderungen, wie zum Beispiel Staubexplosionen oder ein Sägeblatt, das im Oberschenkel steckt.

„Medizinisches Vorwissen ist für sämtliche Mimen unerlässlich, auch Seelsorge ist bei der Opferbetreuung immens wichtig und wird mit den Ersthelfern geprobt. Deshalb dürfen die Mimen als Schwerverletzte natürlich nicht lachen, auch wenn die Situation zunächst grotesk erscheint. Es muss auch die Bereitschaft da sein, wie ein Schwerverletzter laut zu schreien. Da muss die Hemmschwelle überschritten werden.“ Umso authentischer wirke die Gesamtsituation, in der es nicht nur um erste Hilfe, sondern auch um Leben und Tod gehen kann. Stiels erinnert sich: „Ich hatte meinen ersten eigenen Einsatz als Mimen. Da sprach mich ein Feuerwehrmann an und ich musste lachen, weil sich seine Stimme in der Maske so seltsam anhörte. Auch hier gilt die Erfahrung: Man wächst mit seinen Aufgaben.“ Ebenso unangenehm sei es ihm gewesen, als er selbst als im Auto eingeklemmter Mime bei einer Übung vor hunderten von Zuschauern von der Feuerwehr aus einem Auto geschnitten wurde. Auch das gehöre eben dazu. „Den Helfern geht es nur darum, Leben zu retten, da spielt es am Ende keine Rolle, dass auch die Kleidung weg geschnitten wird und man nur noch Boxershorts dasteht.“

Wenn man einen Unfall erlebt, dann denkt man normalerweise nicht mehr, sondern versucht zu helfen“, erklärt der THW-Mitarbeiter. Aber die jungen Ersthelfer müssen natürlich viele neue und notwendige Erfahrungen machen. Dies vermittelt er auch in seinen Workshops zur Vorbereitung. „Ich darf einen Schwerverletzten nicht auf einen Stuhl ohne Lehnen oder eine Mauer setzen, sonst fällt er womöglich runter. Auch das machen unsere Mimen bei Übungen vor. Wenn sich dann mal eine solche Situation im echten Ernstfall ergibt, wird sich der junge Ersthelfer sofort an diese erschreckende Erfahrung erinnern.“

Rund zwölf Einsätze absolviert das RUD-Team pro Jahr und wird dafür auch überregional gebucht. „Es ist enorm wichtig, immer wieder etwas Neues hinzu zu lernen. Das gilt auch für mich“, versichert er. „Wir haben auch schon Klinikpersonal bei Fortbildungskursen unterstützt und auch Berufsfeuerwehren in Aachen, Krefeld und Hagen. Zweimal haben wir auch Übungen mit einer Kamera fotografiert und gefilmt, die in der Luft und am Körper einsetzbar sind. Dabei entstanden Luftaufnahmen für die Feuerwehr, die sich ebenfalls ständig fortbildet, und so auch mal eine andere Perspektive bekam.“

Der bisher größte Einsatz für das RUD-Team fand im Jahr 2015 im Kölner U-Bahnschacht Bonner Wall, in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Köln, statt. Dort wurde ein Terroranschlag mitsamt Folgen simuliert: Zwei Airbags wurden angezündet und so zum Platzen gebracht, was eine Explosion simulierte. Früher sei sein Vorschlag, für Katastrophenausmaße, wie sie ein Terroranschlag nach sich ziehen kann, eher belächelt worden, so Stiels, mittlerweile habe die Realität jedoch eines Besseren belehrt. „Fast 100 Mimen waren damals dabei, auch sehr junge. Kinder kommen allerdings nur ausnahmsweise zum Einsatz“, erklärt der RUD-Leiter, die Mimen müssen in der Regel mindestens 16 Jahre alt sein.

Mein größtes Bestreben ist es, jungen Helfern durch die Aktionen die Angst vor dem Helfen zu nehmen und zu vermeiden, dass sie selbst einen Schock kriegen. Und wenn man nur einen Notruf absetzt oder bei dem Verletzten bleibt. Hinterher kann man sagen: Du hast geholfen!“, betont der Vater von drei Söhnen, die ebenfalls Mitglied im THW und DRK sind. „Meine Jungs haben meine soziale Ader wohl geerbt“, meint er schmunzelnd.

Weitere Informationen:

www.rudteamnettetal.de und www.facebook.com/RUD-Team-Nettetal-366628750015144/?fref=ts

, , , ,