– Buchtipp von Susanne Jansen –
Ferdinand von Schirach, renommierter Strafverteidiger und Schriftsteller, präsentiert in seinem Buch „Die Würde ist antastbar“, erschienen im btb-Verlag, eine Sammlung von Essays, die in die menschliche Psyche und damit in die Moral der Gesellschaft abtauchen. Das Werk setzt sich mit zentralen Fragen der so genannten Gerechtigkeit, der Freiheit und der Menschenwürde auseinander und bietet dabei zugleich einen Einblick in die komplexe und bisweilen erschreckende Welt der Justiz.
“Die Würde ist antastbar” stellt Von Schirach direkt in seinem Vorwort fest und wartet mit einem von vielen Zuschauern begleiteten Beispiel aus dem Kanzlerduell auf – wiederholten der Frage Stefan Raabs an Peer Steinbrück danach, ob die Kanzlerin ihren Amtseid verletze, “weil sie zu wenig gegen die Abhörangriffe der NSA unternehme”, woraufhin der Kandidat immer wieder auswich.
Gewohnt trocken und wortkarg erzählt der erfahrene Jurist in jeder seiner wahren Geschichten aus dem Leben, und berührt gerade durch seine wertneutralen Beschreibungen das eigene Ethikempfinden zutiefst, indem er das fragile Gleichgewicht zwischen Recht und Unrecht, Rache und Sühne in den Fokus rückt. Der Leser wird Beobachter eines wiederkehrenden exzellenten Spagats zwischen Schuldspruch und facettenreicher menschlicher Betrachtung, zwischen schwarz und weiß, indem in der Schlichtheit der Wortwahl umso deutlicher verklemmtes Schubladendenken entlarvt wird. Er sieht sich immer wieder mit Aha-Erlebnissen konfrontiert, aber auch mit der Frage: Wie würde ich entscheiden?
Da ist zum Beispiel die Geschichte eines Mannes, der in der DDR aufgewachsen war und wegen seines Fluchtversuchs jahrelang inhaftiert wurde. Von Schirach rezitiert hier beispielhaft, wie das Regime durch Repression systematisch die Würde und Freiheit seiner Bürger verletzt. Hier stellt sich im Kopf zwangsläufig ein Bild aus dem Mittelalter ein: die Hexenprobe? Weit überholt oder doch noch brandaktuell? Die Folgen: Selbst nach Jahrzehnten sind die Spuren dieser Eingriffe noch tief in die Seele eingebrannt. Vielleicht, aufgrund von Traumata, auch in den Seelen der nachfolgenden Generationen?
Im Fall des obdachlosen Künstlers, der trotz seines Talents und seines hohen Bildungsniveaus auf der Straße lebt, reflektiert Von Schirach die sozialen und gesellschaftlichen Umstände, die zu seiner Obdachlosigkeit führten. Wie kann eine Gesellschaft, die die Würde des Einzelnen derart hervorhebt, und immer um Unterstützung bemüht scheint, solche Schicksale zulassen, so dass diese durch das soziale Netz fallen?
Mein Fazit: „Die Würde ist antastbar“ ist nicht nur ein Buch für Juristen, sondern für alle, die sich für die essenziellen Fragen des Lebens, des Menschseins und den Konsequenzen unserer Handlungen ergeben. Es ist ein Buch für uns alle. Im Vorwort endet die erste Seite mit den Worten: “[…] Aber wir leben in einer Demokratie, wir können das ändern. Die Frage ist, ob wir das wollen.” sic! Danke für dieses Buch!
Text und Foto: Medienagentur Niederrhein, Susanne Jansen