Ein Koffer voller Geld


Hyperinflation: Es war einmal… vor 100 Jahren –

Von Susanne Jansen

Lobberich. Geld drucken in Lobberich und Kaldenkirchen? Eine Tageszeitung, die 200.000 Milliarden Mark kostet, während ein Brötchen für 800 Mark über die Ladentheke geht und das Geld mit seiner Prägung lokale Geschichte erzählt? Ist das heute noch möglich? Mit der Währung „Mark“ und hiesigen Motiven sicherlich nicht. Jedoch stammt das generelle Phänomen der Inflation nicht aus der Feder irgendeines Märchenerzählers, wie uns die Gegenwart erneut vor Augen führt.

„Ich habe selbst viel gelernt, als ich die Ausstellung vorbereitet habe. Ich wusste vorher zum Beispiel nicht, dass es damals auch kleine Pfennigscheine gab. Sie wurden gedruckt, weil die Menschen damals gerne Münzgeld gehortet haben“, erzählt Ralf Schmeink lächelnd, der den buchstäblichen Koffer voller Geld in Natura mitgebracht hat.

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„100 Jahre Hyperinflation 1923“ so heißt die Ausstellung des Vereins Lobberland, die derzeit in der Lobbericher Filiale der Volksbank gastiert. „Ich habe schon seit Jahren auf diese Gelegenheit gewartet“, betont der Vorsitzende des Vereins augenzwinkernd. In seinem umfangreichen, über Jahrzehnte liebevoll bestückten Heimatarchiv befinden sich vielfältige lokale Schätze mit historischem Zeitbezug. Darunter ist auch eine Sammlung mit Notgeldscheinen, gedruckt in Lobberich, „die deutlich Zeugnis ablegen, wie sehr vor 100 Jahren die Inflation durch die Decke ging“, erläutert Schmeink. „Damals wurde in Deutschland wie wild Geld gedruckt, und die Inflation so auch noch angeheizt.“ Die Reichsbank habe das sogar begünstigt, die Aufgabe des Verantwortlichen dort sei gewesen, die Wirtschaft mit Geld zu versorgen und nicht die Stabilität sicher zu stellen, so habe er selbst wohl verlauten lassen.

Stefan Terporten, Geschäftsstellenleiter der Lobbericher Volksbankfiliale, und Christian Davids, Marketingleiter der Volksbank Krefeld, freuen sich, endlich wieder eine neue Ausstellung am Lobbericher Standort präsentieren zu können. „Wir machen das grundsätzlich sehr gerne. Das war ja in der Corona-Zeit erstmal gar nicht mehr möglich“, so Terporten. Leider seien die Möglichkeiten in den übrigen Filialen mittlerweile sehr eingeschränkt. „Nur noch in Lobberich oder in der Brachter Filiale können wir zu Ausstellungen einladen. In den anderen Geschäftsstellen des näheren Umfelds steht nicht genug Platz zur Verfügung, weil Lauf- und Fluchtwege frei gehalten werden müssen.“

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Viele historische Dokumente, mitsamt daneben platzierten QR-Codes, präsentiert der ehrenamtliche Lobbericher Archivar hier auf seinen Schautafeln im Geschäftsraum der Lobbericher Volksbank. Der bekannte Nettetaler Künstler Otto Terstappen hat unter anderem die Vorlage für das zu bedruckende Papier geliefert. Hier können via QR-Code mit dem Smartphone sämtliche Infos über die Beteiligten abgerufen werden.

Die Scheine wurden damals ortsgebunden hergestellt, zum Beispiel auch im Kreis Kempen, bei der Stadt Viersen und in St. Tönis. In Lobberich wurden im Bürgermeisteramt (beidseitig) und in den Unternehmen Niedieck und De Ball Geldscheine (sparsam einseitig) gedruckt, um die Löhne auszahlen zu können. „Es gibt grundsätzlich Geschichten darüber, dass Firmen ihren Mitarbeitern auch Löhne in Form von Lebensmitteln ausgezahlt haben, weil sie ihre Produkte direkt an die Bauern verkauft haben. Ob das in Lobberich auch der Fall war, weiß ich leider nicht. Da hätte man eventuell bis vor 20 Jahren noch jemanden treffen können, der darüber Auskunft geben konnte.“ Allerdings gibt es ein Zitat von damals, das noch heute für Erheiterung sorgt. Denn die Lobbericher nahmen auch diese Zeiten noch mit Humor, so Schmeink. „Damals kursierte im Dorf: Dat is‘ den Ursel seine Welt, vüll Papier und wenich Jeld“.

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Dokumentiert ist jedenfalls, dass die letzten genehmigten Lobbericher Scheine im September 1923 gedruckt worden waren, während die Inflation bis Oktober oder November des gleichen Jahres anhielt. Nicht bekannt sei, ob ein Folgeantrag ausblieb oder ein solcher nicht bewilligt worden war. „Bis Ende Dezember waren die Scheine jedenfalls zum Teil gültig. Viele der Lobbericher Scheine sind mittlerweile eine Rarität, vermutlich wurden die verbliebenen vernichtet.“ Irgendwann sei das Geld wegen des Werteverfalls auch nicht mehr angenommen worden – die Friseure forderten: Haarschnitt gegen Lebensmittel. „Das führte dazu, dass der Staat Strafen androhte, wenn jemand Billionenscheine nicht mehr akzeptierte.“

Es gab jedoch durchaus Konsequenzen, die heute zum Schmunzeln anregen: Die Überfälle auf Geldtransporter ließen rapide nach. Ebenfalls skurril: Eine Kaldenkirchener Künstlerin arbeitete bereits an einem Motiventwurf für weitere Geldscheine, rasch galoppierten jedoch die potenziellen Druckkosten am Wert des zu fertigenden Geldes vorbei. Terporten wundert sich: „Es ist schon erstaunlich, dass wir genau 100 Jahre später eine derart hohe Inflation haben, wie noch nie seit damals.“

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Titelbild: Ralf Schmeink präsentiert jede Menge Wissenswertes über die Zeit der Hyperinflation. Text und Fotos: Medienagentur Niederrhein, Susanne Jansen

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