Fantasievolle Reisen im Dunkeln


Lobberich (sp). Hinfort ist es, das Lobbericher Kino, erbaut im Jahr 1957. Für immer. An den Titel meines ersten Films erinnere ich mich leider nicht mehr. Das war ein romantisch gruseliger und abenteuerlicher Zeichentrickfilm, der mich total gefangen nahm. So gefangen, dass ich den Titel tatsächlich vergessen habe. Jedenfalls weiß ich noch, dass ich mich ein wenig wie in Watte gepackt fühlte, als ich aus der Dunkelheit des Kinosaals ins Tageslicht zurückkehrte und erst mal die Augen zukniff und rieb, um mich wieder an die Helligkeit zu gewöhnen.

Eine von vielen Besonderheiten der Kindheit ist eben, dass man sich noch, alles um sich herum vergessend, absolut in der fantasievollen filmischen Handlung verlieren kann. Bedingt gelingt mir dies sogar erfreulicherweise noch heute – selbst im zarten Alter von 46 Jahren -, wenn ich nicht gerade in besonderem Maße gestresst oder übermüdet bin.

In jungen Jahren eignete sich das Kino, unterteilt in Astra und Movie, für Raucher und Nichtraucher, aber auch hervorragend, um gemeinsam mit der ersten Liebe einen schönen Film zu genießen. Vor allem wenn man schüchtern war. Man musste ja nicht viel sagen. Nur gucken. Und hielt Händchen.

Mein zweiter Film hieß „Gib dem Affen Zucker“ (1981), die Hauptrollen waren mit Adriano Celentano und Ornella Muti besetzt. Da habe ich mit meiner damals besten Freundin Tanja herzlich gelacht. Auch so etwas vergisst man nicht mehr. Im gleichen Jahr stürmten etliche Besucher wiederholt das Haus, um immer wieder aufs Neue die Abenteuer des putzigen Außerirdischen E.T. mit zu erleben. Das wiederholte sich im Jahr 1987 bei dem Film „Dirty Dancing“, den ich bis heute übrigens nur einmal sah.

Auch alleine war ich hin und wieder im Kino, gruselte mich mit gesträubten Nackenhaaren und der Popcorn-Tüte unter der Nase vor Jack Nicholson als „Wolf“ und bestaunte die üppige Kostümierung sowie die berauschende Kulisse von Francis Ford Coppolas sehr poetischem „Dracula“ beeindruckt mit großen Pupillen. 

Sage und schreibe dreimal sah ich mir im Jahr 1998 den Film „Titanic“ an. Also im Kino (aber zu Hause später noch viel öfter). Allerdings nicht nur ich. Alles fieberte und litt immer wieder aufs Neue genüsslich mit, und ich begann mich zu fragen, was für eine Sehnsucht wohl genau dahinter stecken mochte. Vielleicht die Sehnsucht, gerettet werden zu wollen…?

Im Jahr 2005 amüsierte sich dann meine Freundin Sonja im Lobbericher Lichtspielhaus königlich über mich, als wir Jacksons Neuverfilmung des Klassikers „King Kong“ sahen. Denn bei einer Szene erschrak ich so, dass ich ihr meine Cola über die Hose schüttete und sie dies lachend quittierte mit: „Das war doch nun wirklich nicht so schlimm!“

Heute ist alles anders. Die Kleinstadtkinos sterben nach und nach aus. Das in Lobberich hatte bereits im Jahr 2007 seine Pforten geschlossen. Nun werden die Säle in den Großstädten gestürmt, die mehrere Filme gleichzeitig präsentieren und eine nie für möglich gehaltene dreidimensionale Kulisse sowie ein herausragendes Klangerlebnis bieten. Es ist fast so, als ob man gefühlt, nach der Kollision mit dem Eisberg, ebenfalls droht zu ertrinken oder bei Star Wars, im Angesicht des Todes, selbst mit Riesenschritten den Laserschwertern ausweichen muss. Mittendrin, statt nur dabei. Viele Menschen jedoch genießen dieses Vergnügen mittlerweile auch zu Hause, vor dem heimischen Fernseher. Allerdings finde ich, dass auch die, zugegebener Maßen beeindruckende, Technik nicht komplett die kindliche Fähigkeit zum Abtauchen in eine alles ausblendende Fantasiereise ersetzen kann.

Wie auch immer. Keine Frage, das Lobbericher Kino ist schon seit vielen Jahren Geschichte. Lediglich ein paar wehmütige Gefühle keimen erneut auf, wenn ich zur Zeit den Brockerhof passiere und nun endgültig im Zusammenspiel der singenden Arbeitsmaschinen quasi den Abgesang einer heimischen Ära vor Augen geführt bekomme.

Kürzlich trafen sich zur Präsentation der neuen Baupläne unter anderem Investor und Projektentwickler Rob Olymulder sowie Bürgermeister Christian Wagner, um den Bau eines modernen Objektes zu planen. Dort, wo einst das Kino stand, sowie auf dem Grundstück der Bongartzstiftung, wird ein Geschäftsgebäudekomplex mit insgesamt vier Ladenlokalen entstehen.

Nehmen wir es nicht so schwer. Wir haben unsere Erinnerungen (auch wenn einem der ein oder andere Filmtitel nicht mehr einfallen will) an das Teilen von Popcorn und Chips, das Mitfiebern, Schwelgen und Leiden und das Erleben fantastischer Filmreisen im Dunkeln. Und diese Erinnerung, die kann uns letztendlich niemand nehmen.

 

 

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Die Anfangszeit des Lobbericher Kinos. Foto: VVV Lobberich

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Auch das Astra (später: Astra & Movie) fungierte in der Mitte des letzen Jahrhunderts als so genannter Straßenfeger. Foto: VVV Lobberich

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Das Lobbericher Kino in den 90ern und bis in die 2000er hinein. Foto: Ralf Schmeink

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Ein neuer Brunnen und das Ende einer Ära. Foto: Susanne Peters