– Jecke Putzfrau vom Niederrhein –
Von Susanne Jansen
Kaldenkirchen. Bis zu 200 Auftritte wird sie in dieser Session haben. Das lasse sich nicht genau beziffern, weil laufend Buchungen hinzukommen oder auch mal Vertretung im Krankheitsfall anstehen kann. „Natürlich kann Achnes Kasulke auch mal ausfallen. Wenn ich fehle, ist das doof – mein Eimer kann nicht ohne mich auf die Bühne!“, sagt Annette Eßer lachend über ihr Alter Ego und schwärmt: „Seit meinem sechsten Lebensjahr bin ich dem Karneval treu. Erst als Funkemariechen und in der Garde, heute durch Stand up Auftritte. Ich liebe es!“ Von närrischen Genen und karnevalistischer Vorbelastung wisse sie nichts, beteuert die Kaldenkirchenerin schmunzelnd. „In meiner Familie will es keiner gewesen sein. Und ich selbst war ja immer schon sportlich aktiv.“
Polarisierend
Beruflich war die pfiffige Putzfrau, die für den WDR seit 2018 vier Jahre lang in Podcasts unterhielt und bei der WDR 4 on Tour Serie Open Air mit namhaften Bands auftrat, jedoch zunächst auf anderen „Bühnen“ unterwegs. Wegen drei Bandscheibenvorfällen habe sie ihren Beruf als Gärtnerin aufgeben müssen und auf Technische Bauzeichnerin umgeschult. „Beides hat mir auch sehr viel Spaß gemacht!“ Eher zufällig enterte Eßer in der Session 96/97 als polarisierendes weibliches Mitglied eines Trios mit zwei närrischen Kollegen die karnevalistische Bühne. „Unter anderem gab ich da die dicke Putzfrau im Fatsuit, und die ist an mir hängen geblieben.“ Nach einer Fußverletzung habe sie ihre unterschiedlichen Rollen nicht mehr tanzen können, was sich aus dem Stand als Startschuss zur Solokarriere entpuppte. „Ich habe mich überreden lassen, mit Sprechbeiträgen zu unterhalten, und das schlug ein wie eine Bombe! Du musst nächstes Jahr unbedingt etwas alleine machen, Du hast die Männer auf der Bühne in Grund und Boden geredet, bekam ich zu hören.“
Kultfigur
Mittlerweile tritt Eßer nicht nur überall in Nordrhein-Westfalen auf, vor allem im Kölner Karneval, sondern außerhalb der Session auch über die Landesgrenzen hinaus. „Während der Session wäre es zu viel, quer durch Deutschland zu reisen. Den Rest des Jahres bespaße ich auf Hochzeiten, Weihnachtsfeiern, Galas, Jubiläen und anderen Feiern.“ Für Achnes Kasulke, längst Kultfigur, hat auch das Lampenfieber immer noch eine essenzielle Bedeutung. „Das ist wichtig, um die Atmosphäre im Saal bewusst aufzunehmen und schlagfertig mit dem Publikum zu interagieren. Es ist immer eine schöne Herausforderung, wenn ich spontan Bälle zurückspielen und so zur kreativen Hochform auflaufen kann“, versichert sie strahlend.
Anekdoten
Sogleich kommt die Kaldenkirchenerin mit einer Anekdote um die Ecke: „Ich hatte meinen ersten Auftritt in Köln. Es war die ZDF-Mädchensitzung, in der Session 2006/2007. Ich erzählte von ‚meinem‘ Erwin, den ich zu Hause mit der Aufforderung empfangen habe: Zieh‘ mir die Bluse aus! Genau in diesem Moment knallte dem Kellner am ersten Tisch während der Aufzeichnung versehentlich mit einem Riesenplopp der Sektkorken weg.“ Sie habe pariert: „Genau so hat sich mein Blusenknopf auch angehört!“ Der Saal habe getobt und der Kellner sich später nachdrücklich entschuldigt. „Das fand ich sehr süß. Vermutlich haben die Angestellten die gezielte Anweisung, während einer Aufzeichnung leise zu sein. Aber solche Dinge können eben passieren, und mir hat er damit sogar noch unfreiwillig zugearbeitet“, erinnert sich die 53-Jährige schmunzelnd.
Dankbarkeit
Mit ihren Auftritten Geld zu verdienen, habe die Mutter von zwei Töchtern gar nicht auf dem Schirm gehabt, betont sie. Zunächst sei sie nur in Kaldenkirchen aufgetreten und habe einfach eine weitere Herausforderung gesucht, als ihre Mädels in die Schule und den Kindergarten kamen. „Ich wollte wissen: Wo stehe ich, und wie kommt es an? Mehr als vielleicht einen einzigen Auftritt in Köln, habe ich mir nicht erhofft. Mit der Lawine, die sie so lostrat, sei sie zunächst völlig überfordert gewesen. Ich bin sehr dankbar dafür und sehe es bis heute als absolutes Geschenk an, auf vielen Bühnen unterhalten zu dürfen!“
Herzensangelegenheit
Aber auch der Kontakt zu den karnevalistischen Kollegen sei eine Herzensangelegenheit. „Wenn wir uns bei den Auftritten begegnen, ist das immer wie ein spannendes Klassentreffen“, sagt sie lächelnd. „Derzeit sind alle erleichtert und froh, dass wieder Normalität eingekehrt ist und das Publikum in den Sälen wieder lachen, feiern und ohne Abstand schunkeln kann.“ Dies tue der Seele gut, es sei den Menschen deutlich anzumerken, sagt Eßer überzeugt. Streaming-Formate seien aus der Not geboren, aber eben kein gleichwertiger Ersatz. Strahlend erinnert sie sich: „Bei der ersten Karnevalssitzung im November hatte ich Gänsehaut bis auf den dicken Zeh. Ich war einfach total überwältigt, plötzlich wieder mitten drin zu stehen und so viele fröhliche Menschen zu sehen.“ Karneval und das damit verbundene ländliche Brauchtum, mit seinem großen sozialen Engagement, sei einfach ihre große Leidenschaft.
Brauchtum und Heimat
Natürlich gab es auch noch weitere Formate in der Krise. Achnes Kasulke lud, gemeinsam mit ein paar Kollegen, unter anderem Ingrid Kühne, zu einem spaßigen Programm ein. „Das sollte am 17. Juli 2021 in Herzogenrath stattfinden. Und am 14. Juli kam die Flut, so dass wir absagen mussten.“ Das sei natürlich schade gewesen. „Aber für die Betroffenen war es selbstverständlich viel schlimmer. Wir haben dann alle Kartenbesitzer gebeten, ihr Eintrittsgeld spenden zu dürfen. Und tatsächlich hat nicht einer sein Geld zurückverlangt. Das hat uns sehr gefreut!“ Auch für die Jugendlichen bleibe das Vereinsleben heute umso wichtiger, ist die 53-Jährige überzeugt. „Für sie ist nicht mehr so viel übriggeblieben. Früher gab es zum Beispiel in Kaldenkirchen drei Diskotheken. Da sind wir in unserer Jugend wirklich gesegnet gewesen. Heute kann wenigstens das heimatliche Brauchtum, dessen Begrifflichkeit ja tatsächlich von „brauchen“ abgeleitet ist, weil alle aufeinander angewiesen sind, noch auffangen, um in der Gemeinschaft etwas wirklich Tolles auf die Beine zu stellen.“
Text und Titelbild: Medienagentur Jansen
Weitere Fotos: Kasulke