Leserbrief von Ralf Schmeink: „Nimm das, Putin!“


>>Die Stadt Nettetal“ legt alle Lobbericher Gaslaternen (noch 2017 modernisiert) still. Es lebe die kurzsichtige Symbolpolitik!

In Lobberich werden laut städtischer Pressemeldung kurzfristig 17 Gaslaternen (davon eine gar nicht im Besitz der Stadt, sondern der Pfarrgemeinde) in den nächsten Tagen vom Netz genommen. Wenn hier 80.000 KWh Energie eingespart wird, klingt dies nach viel, kann aber eins genau nicht: Einen „weitreichenden Beitrag zum Umweltschutz und zu den Energiesparzielen der Bundesregierung leisten“.

Würde man aus dem so gesparten Gas in einem Gasturbinenkraftwerk Strom erzeugen, bliebe ein Bruchteil davon als Strom übrig – etwa 30.000 KWh. Setzen wir das doch bitte in Relation zu den 1.700.000 KWh Strom, den städtische Institutionen im 5-Jahresmittel in den letzten Jahren verbraucht haben. (Der städtische Gesamt-Gasverbrauch errechnet sich über den im Juni genannten CO2 – Wert von 2.000.000 kg, was – bei 200g CO2pro KWh – 10.000.000 KWh Gasenergiebedarf ergibt) Hier werden also mit viel Aufwand (offensichtlich rechnet man 2 Tage Arbeit) 17 Kleinverbraucher abgeklemmt, die auch zusammengerechnet nur im Promillebereich des Gasbedarfs städtischer Gebäude ausmachen. Daten:  Pressemeldung der Stadtverwaltung vom 22. Juni

Noch heute werben die Stadtwerke mit 29 Grad Wassertemperatur im Nettebad, mit einem Warmbadetag und „noch mehr Schwitzvergnügen“. Wollte man nicht reduzieren? https://www.stadtwerke-nettetal.de/freizeit/nettebad.html

Was auf dem Spiel steht:

Die 17 Laternen stellen ein Alleinstellungsmerkmal dar, das Lobberich weltweit (kein Witz!) einmalig macht. Es gibt keine einzige Kleinstadt unter 15.000 Einwohnern mit authentischem Gaslicht. Außer Lobberich eben. Kein energieintensives Hallenbad und auch kein kleines Theater mit noch so großen Gästen (Energiebilanz?) wird je Nettetal kulturell in ähnlicher Weise auf die Weltkarte setzen.

Kultur kostet Geld, Kultur kostet Energie. Und natürlich wird auch in Nettetal viel Aufwand (Diskussionen, Geld und Energie) in die Werner Jaeger-Halle gesteckt. Die Diskussion war wichtig, die Entscheidung war demokratisch und der erforderliche Energieaufwand zur Beheizung für die nur stundenweise Nutzung des Gebäudes wird – natürlich – nicht infrage gestellt. Aber ein Theater ist nicht die einzige Form von Kultur, die wir zu verlieren haben.

Um wieviel einfacher wäre hier die Bewahrung des kulturellen Erbes „Gaslicht“! Das ist ein Schatz, den wir da haben, einer der noch vor 5 Jahren mit neuester Technik im Innenleben modernisiert wurde. Ein Schatz, der darüber hinaus einen ganz praktischen Nutzen (Beleuchtung) hat und auch noch allgemein öffentlich zugänglich ist.

Hier drängt sich die Vermutung auf, dass der Kulturbegriff bei Verantwortlichen der Stadtverwaltung da endet, wo bitte spätestens 22.30 der Vorhang fällt und man (endlich Feierabend!) nach Hause gehen darf. Die Entscheidung, die Gaslaternen vom Netz zu nehmen, wirkt fast so, als sei sie im Bauamt gefallen statt im Kulturausschuss…

„Zeichen setzen“: die schwächste Version politischen Handelns

Bürgermeister und Verwaltung der Stadt Nettetal, – von einer politischen Diskussion drang zumindest nichts nach draußen – , werden nun zusammen mit den Stadtwerken an den Gaslaternen „ein Zeichen setzen“. Wenn der Begriff „ein Zeichen setzen“ bemüht wird, ist dies oft die Umschreibung von Machtlosigkeit. Etwas Wirkungsvolles fällt uns nicht ein, daher wird symbolisch mit einem passenden Ritual gehandelt. Wir hängen eine Fahne auf, halten mal 60 Sekunden den Mund und gucken zu Boden oder legen Blumen irgendwo ab. Das ist völlig OK. Das gibt uns das Gefühl, „etwas“ zu tun, dem Fassungslosen nicht ausgeliefert zu sein: Tod, Krieg, Menschenrechtsverletzungen. Da fühlt man sich machtlos, will irgendwas machen.

Wenn aber – um „irgendwas zu machen“ das Kulturelle Erbe abgerissen wird, das zudem keine andere Kleinstadt auf dieser Welt hat, hat das keinen kurzfristigen nennenswerten Effekt: Es ist eine kurzsichtige Symbolpolitik.

Schlimmer noch: Die Stadtwerke kümmern sich seit Jahren eher widerwillig um das Gaslicht: 2016/2017, hatten sie versucht, Anwohnern und Ortsvorsteher etwas von „fehlenden Ersatzteilen“ zu erzählen (Fakt: Man hatte schlicht keine gekauft…) Als sie hier öffentlich korrigiert wurden „beugten sie sich als Dienstleister (…) den Wünschen von Politik und Anwohnern“ Da die Wortwahl weder abwägend noch bedauernd ist, drängt sich der Gedanke auf, dass jetzt dank Putin die teuren Dinger endlich vom Tisch sind.

https://rp-online.de/nrw/staedte/nettetal/anwohner-kaempfen-fuer-gaslicht_aid-19636207

Dieser RP – Bericht vom 20. März ist hier kommentiert: https://www.lobberich.de/kultur/gaslicht/2017-vorgaenge.tpl

Sarkasmus?

Man muss fast froh sein, dass die Häuser Ingenhoven und Erlenbruch (beide waren eine zeitlang im Besitz der Stadt) inzwischen private Eigentümer haben, die ihr Eigentum schätzen und pflegen. Ansonsten liefen sie womöglich Gefahr, durch supergedämmte Plus-Energiehäuser ersetzt zu werden. Was diese Denkweise für ein Jahrhunderte altes Lehensgut samt ihn umgebenden Wassergraben (genannt  „et Büerke“) bedeutet hat, lässt sich heute auf einer Tafel am Rande eines Matratzendiscount-Parkplatzes nachlesen. Es geht so weiter: Kinoschließung 2006https://www.lobberich.de/kultur/historie/firmen/kino.tpl – oder die heute geplante Schließung des über 150 Jahre alten  Berufskollegstandortes: Kein Verlust offenbar – wir stürzen uns auf die Filetgrundstücke. Im Ergebnis steht heute an der Stelle des Kinos die Laderampe von „action“.

zurück zur Pressemeldung:

Konkret werden als einzig genannte Maßnahme erstmal nur 17 Gashähnchen abgedreht. Bezüglich wirklich wirkungsvoller Sparmaßnahmen finden wir in der städtischen Pressemeldung dann „Ankündigungen“ „Prüfungen“, „Suchen“ und „Versprechungen“.

Im Einzelnen:

  • Eine Ankündigung: „Beendigung“ einer Teilumrüstung irgendwann „in diesem Jahr“ – wohlgemerkt: bei einem verbleibenden Rest von 18% (also rund 1.000 Stück) Stromfresserlampen…
  • Einen Test: ob man seine Lampen bedarfsgerecht für ein paar Stunden auch wieder abschalten kann?
  • Eine Prüfung: ob man in Schulen, Hallen auch noch irgendwas sparen kann?
  • Dann eine beabsichtigte Weitersuche nach sonstigen Einsparmöglichkeiten

und

  • Versprechen („Davon versprechen wir uns weitere Einsparungen und Optimierungen auch hinsichtlich Lichtverschmutzung und Insektenfreundlichkeit.“)

Genau diese Insektenfreundlichkeit ist bei Lobbericher Gaslaternen wegen des insektenfreundlichen Lichtspektrums seit 135 Jahren gegeben, Lichtverschmutzung wurde dem Gaslicht auch noch nicht vorgeworfen. Warum also mit viel Aufwand etwas insektenfreundlich „neu“ gestalten, was seit 135 Jahren in Lobberich insektenfreundlich IST?

Über Nachhaltigkeit ließe sich dabei durchaus reden: Auf der ehemaligen Gaslichtstraße  „Sassenfelder Kirchweg“ steht nach dem Abriss der Gaslaternen im Jahr 2022 bereits die zweite Generation Elektroleuchten. Auf der  Sassenfelder Straße rosten genau die Elektromasten vor sich hin, die einmal mal als Ersatz für das Gaslicht aufgebaut wurden. Nur eine Straße weiter am  Windmühlenweg stehen dagegen echte Jugendstil-Kandelaber die seit über 100 Jahren in Betrieb sind. Auch DAS ist eine Form von Nachhaltigkeit!

Und nicht zuletzt ist das Gas, mit dem die Lobbericher Laternen betrieben werden, niedrig kalorisches niederländisches Gas „L-Gas“. Das bleibt weg, weil in den Gewinnungsgebieten der Provinz Groningen die Erde bebt und die Produktion daher gedrosselt werden muss. Das hat mit Russland erst mal nix zu tun! Natürlich muss auch damit sparsam umgegangen werden. Aber dann bitte mit ehrlichen Argumenten. Die Umstellung auf hochkalorisches H-Gas, wie es aus Russland bezogen wird, (also nicht etwa davon weg…) haben die Stadtwerke für Nettetal vor wenigen Tagen noch selbst in Gang gesetzt…<<

Weiterführende Links:

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/berlins-zauber-rettet-die-alten-leuchten-11761270.html

https://www.lobberich.de/kultur/gaslicht/bilder.tpl

https://www.lobberich.de/kultur/gaslicht/bilder-historisch.tpl

https://www.lobberich.de/kultur/gaslicht/zuenden.tpl

Ralf Schmeink, Vorsitzender des Heimatvereins Lobberland e.V. (02153-9597929), zur Pressemeldung der Stadtverwaltung Nettetal, vom 12. September 2022: Energiesparen im öffentlichen Raum: Gaslaternen werden ausgeschaltet / Mehr als 5.000 Leuchten werden auf energiesparende LED-Technik umgerüstet / System zur bedarfsorientierten Steuerung der Straßenbeleuchtung wird erprobt.

Foto: Ralf Schmeink

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