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Nicht nur auf dem Rücken der Kinder


Das Gute Kita-Gesetz: Gut gemeint, Ziel verfehlt?

Von Susanne Jansen

Trotz eines seit elf Jahren bestehenden Rechtsanspruchs fehlen in Deutschland laut Bertelsmann-Stiftung 400.000 Kita-Plätze und 125.000 Fachkräfte. Die Folgen: Eltern können nicht arbeiten, Unternehmen verlieren damit Fachkräfte, die teils überlastet sind, und Kinder leiden weiterhin oder sogar noch vermehrt unter unzureichender Betreuung.

Das Gute-KiTa-Gesetz (Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung) wurde 2019 in Deutschland eingeführt, um die Qualität der Kindertagesbetreuung zu verbessern und Familien finanziell zu entlasten. Es stellt den Bundesländern insgesamt 5,5 Milliarden Euro (bis 2022, später verlängert) zur Verfügung, die sie flexibel für verschiedene Maßnahmen nutzen können.

Die Maßnahmen

Es fallen geringere Kita-Gebühren an: Einige Bundesländer haben diese reduziert oder abgeschafft, zwecks finanzieller Entlastung der Familien. Außerdem tut eine bessere Betreuung not, wie zum Beispiel mehr Erzieherinnen, die darüber hinaus noch besser qualifiziert werden sollen. Ebenso gehört die Optimierung der Sprachförderung für Kinder zur Agenda. Schließlich soll es flexible Öffnungszeiten für die Eltern geben, um sich an die Bedürfnisse berufstätiger Eltern anzupassen. Eine Simplifizierung des Verwaltungsaufwandes steht ebenso auf dem Plan, durch fortschreitende Digitalisierung und Bürokratieabbau innerhalb der Kitas.

Die Probleme

Da jedes Bundesland eigene Schwerpunkte setzen kann, sind die Maßnahmen regional unterschiedlich. Das Gesetz wurde also verlängert und geht seit 2023 in das Kita-Qualitätsgesetz über, um die Förderung fortzuführen. Es existieren jedoch bis heute bundesweit flächendeckend Probleme. So pumpte das Gute-KiTa-Gesetz zwar Geld in das System, jedoch löste es damit viele der strukturellen Probleme nicht. Der Fachkräftemangel besteht bis heute, es gibt einfach zu wenige Erzieherinnen, und deren ausgedehnte Ausbildung wird häufig schlecht bezahlt. Selbst wenn mehr Geld für Personal eingeplant war, konnten viele Kitas dennoch keine zusätzlichen Fachkräfte einstellen.

Viele Bundesländer haben das Geld genutzt, um Kita-Gebühren abzuschaffen oder zu senken. Dies verbesserte jedoch nicht die Betreuungsqualität. Dies bedeutet in der Konsequenz: gleichbleibende oder noch verschlechterte Bedingungen für Kinder und Erzieherinnen, da ja das Personal nicht aufgestockt wird. Zudem gibt es zu wenig Investitionen in Infrastruktur – die Kitas platzen aus allen Nähten, es fehlen Räume und Ausstattung. Sanierungsbedürftige Einrichtungen blieben oft unberührt, weil das Gesetz keine klaren Vorgaben für Investitionen vorgibt. Die Gelder wurden oft nur befristet vergeben, was langfristige Verbesserungen erschwerte. So entsteht ein hoher Verwaltungsaufwand, ohne Planungssicherheit für den effektiven Einsatz. Dazu kommt, dass die regionalen Unterschiede einen Flickenteppich bescherten: Jedes Bundesland durfte selbst entscheiden, wofür es das Geld einsetzt. Während einige Länder auf Qualitätsverbesserung setzten, verwendeten andere es für den Ausgleich der Gebührensenkung. Auf den Punkt gebracht heiß das: Es fehlen insgesamt einheitliche Standards für bessere Betreuung.

Gut gemeint heißt nicht zwangsläufig gut gelöst.“

Das sieht auch Vanessa Poerschke so. Sie ist Mutter zweier Kinder, die einen Kaldenkirchener Kindergarten besuchen sowie Initiatorin der Elterninitiative „Eltern werden laut” aus Nordrhein-Westfalen. Die Nerven liegen mittlerweile blank, die Kinderbetreuung in den Kitas, jedes Alter betreffend, sei nicht mehr im angemessenen Rahmen zu leisten, und das gehe nicht nur zu Lasten der Kinder, sondern auch der Eltern und Erzieherinnen.

„Unsere Elternvertreter und Vertreter von Träger und Stadtverwaltung haben sich an einen Tisch gesetzt, konnten sich aber nicht einigen. So kann es aber nicht weitergehen, es müssen stabile Lösungen her“, erklärt Poerschke und rief deshalb eine Petition auf der Plattform Change.org ins Leben, mit der sie Anja Stahmann, Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie die Koalitionspartner auffordert, den Kita-Notstand auszurufen und innerhalb der ersten 100 Tage nach der Bundestagswahl eine umfassende Kita-Reform im Koalitionsvertrag zu verankern. „Bei 75.000 Unterschriften, werden wir die Petition überreichen – 62.000 haben wir bereits!“, freut sich die junge Mutter.

Psychische und finanzielle Belastung

„Und es bleibt wichtig! Nicht nur das Kita-System ist am Limit, auch wir können so nicht mehr weitermachen. Der Betreuungsnotstand belastet uns zunehmend finanziell und psychisch. Und natürlich leiden auch die Erzieherinnen, von den Kindern ganz zu schweigen. Wir wollen nicht nur Versprechungen, sondern stabile Änderungen erreichen und zwar jetzt!“ So geraten Eltern nicht nur in eine anspruchsvolle Jonglage, sondern hier entwickeln sich schnell Schieflagen. „Die Kinder erleben die Kita nicht mehr als sichere und stabile tägliche Konstante. Außerdem geraten Arbeitsplätze von Eltern in Gefahr, wenn ihr Kind oder gleich mehrere häufiger zu Hause betreut werden müssen, die Stimmung kippt, finanzielle Verpflichtungen sind bedroht.“ Poerschke weiß: „Jährlich entstehen so obendrein wirtschaftliche Schäden von 23 Milliarden Euro, weil rund 1,2 Millionen Arbeitsstunden pro Jahr nicht geleistet werden können, das muss man sich alles mal im Gesamtpaket vor Augen führen! Es braucht eine grundlegende bundesweite Reform, jetzt! Nachhaltige Verbesserungen wurden bis heute nicht erzielt.“

Dank ihrer Petition und des eingerichteten Accounts auf Instagram, vernetze sich die Elterninitiative „Eltern werden laut“ permanent deutschlandweit mit Betroffenen und habe so bereits viele Unterstützer gefunden, wie den Verband „Berufstätiger Mütter“, weitere Elterninitiativen, Eltern, Großeltern und auch Erzieherinnen, um all ihre Geschichten und ihren Unmut publik zu machen. „Kitas sind systemrelevant“, insistiert Poerschke, „und genau so müssen sie von der Politik auch endlich wahrgenommen und strukturiert und einheitlich gefördert werden.“

Unterschiedliche Konzepte zum Kindeswohl

Dominik Hoffmann, Leiter des Jugendamtes Nettetal, ist mit der Thematik ebenfalls vertraut. Er hat selbst Nachwuchs im Kindergartenalter und kennt die Petition. „Man muss das Ganze differenziert betrachten, weil wir unterschiedliche Kita-Strukturen haben. Wir haben städtische Kitas, die nach Vorgabe handeln und wir haben die Träger-Kitas, wie die Einrichtungen des DRK oder die der katholischen oder evangelischen Kirche, die uns zwar abrechnen, deren Gesamtverantwortung aber in ihren eigenen Händen liegt. Die Hoheit, was die Durchführung ihres Angebotes betrifft, wie zum Beispiel Notfallkonzepte, unterliegt den Rahmenbedingungen der Träger.“

Hoffmann räumt ein, dass jedes dieser Systeme Vor- und Nachteile habe, den Trägern aber keine Einheitlichkeit und ein Aufbrechen der eigenen Konzepte vorgeschrieben werden könne. „Da stellt der eine Träger fest: Das Kindeswohl ist wichtig, jeder muss mal zu Hause bleiben. Der andere entscheidet für seine Kita: Wir machen das sozial ausgewogen, der Feuerwehrmann im Schichtbetrieb hat Vorrang, während jemand, der allein zu Hause betreut werden kann, keinen Kita-Platz bekommt. Ebenso wird auch über den Umgang mit Personalengpässen entschieden, ob zum Beispiel eine Gruppe geschlossen wird oder zwei zusammengelegt werden.“

Ein grundsätzliches bundesweites Problem sei beispielsweise, dass der qualitative Ausbau der Einrichtungen ursprünglich nicht mit den personellen Konsequenzen bedacht worden sei. „Das Ziel war, den Bedarf von Familien in der Breite zu decken. Hier sei auch nicht bedacht worden, welchen Stellenwert der Beruf der Erzieherin, mitsamt langer Ausbildung, im Vergleich zu besserverdienenden Grundschulakademikerinnen habe.“ Deshalb sei zu überlegen, ob die Entgeltstruktur von Erzieherinnen nicht fast auf Augenhöhe mit der von Grundschulpädagogen sein müsste, „bei dem was sie qualitativ täglich leisten und was den Beruf attraktiver machen kann“, gibt er zu bedenken.

Täglicher Austausch

Als Vater sei der Jugendamtsleiter selbst in der Elternarbeit tätig und bekomme die Dinge selbstverständlich hautnah mit. „Auch in NRW wird die Kita nicht als Bildungs-, sondern als reine Betreuungseinrichtung gesehen. Als Ansprechpartnerin bei der Stadtverwaltung Nettetal nennt er Crocetta Chianchiana, die insbesondere mit den Trägern wegen ihrer Notfallkonzeptschwierigkeiten im Gespräch sei. „Wir sind hier täglich im Austausch und versuchen auszufeilen, was man den Eltern noch zumuten kann, um in allen Bereichen täglich das Beste herauszuholen. Manchmal, und das gehört zur Wahrheit ebenfalls dazu, ist auch die Kommunikation zwischen Kita und Eltern nicht so gut. Die Elternvertretungen haben da gelegentlich auch ihre eigene Agenda.“ Was über alle Träger mit Kitas in Nettetal gesagt werden könne, sei, dass alle bestmöglich bemüht seien, Ansprüche zu erfüllen. „Aber sie stoßen natürlich immer wieder an ihre Grenzen.“     

Weitere Informationen: https://www.change.org/KitaReformJetzt (Link zur Petition) und  Petitionsvideo: https://www.youtube.com/watch?v=U_Tcr7HaUBM

Text: Medienagentur Niederrhein, Susanne Jansen

Foto: pixabay

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