Betrug mit vermeintlich krankem Kind


– Heimtückische Spendenabzocke eines Mönchengladbachers –

Mönchengladbach/Nettetal (sp). Ein 41-jähriger Mönchengladbacher hatte Fotos von seiner Tochter ins Netz gestellt und behauptet, er wolle Geld für die spezielle Therapie ihrer seltenen Leukämieerkrankung sammeln. Viele waren dem Aufruf gefolgt, um die Behandlung mitzufinanzieren. Jedoch stellte sich nun heraus, dass das Kind kerngesund ist.

Zahlreiche Menschen hatten Anteil an der Geschichte der kleinen Amelie genommen. So hatte es von Seiten des Vaters Holger B. geheißen, das Mädchen liege mit der seltenen Krebserkrankung, die Blut und Knochen angreift, im Universitätsklinikum Aachen. Die einzige Möglichkeit, ihr Leben zu retten, sei eine alternative Heilmethode, die in den USA und in Russland bereits erfolgreich praktiziert worden sei, in Deutschland jedoch nicht von der Krankenkasse bezahlt werde.

Unter der Überschrift „Papa hilft dir“ hatte der 41-Jährige im Internet zu einer Spendenaktion aufgerufen. Der Mönchengladbacher wollte so 15.000 Euro für die von ihm zitierte Behandlung zusammen bekommen. In Kneipen wurden Sparschweine aufgestellt. Vereine sammelten. Es gab Benefizveranstaltungen, unter anderem in Nettetal; sogar eine Polizeibehörde soll gespendet haben. In Kaldenkirchen sollte der erste Nettetaler Kindertag (NeKiTa) vom Juni dieses Jahres, ursprünglich zu Gunsten von Amelies Therapieform, stattfinden. 

Unserer Redaktion teilte B. Anfang April schriftlich mit: Hoffnung geben, Hoffnung nehmen, ein Durcheinander der Gefühle, da ergriff ich die Möglichkeit es an die Öffentlichkeit zu bringen und siehe da, die Resonanz ist unglaublich. Wir haben schon viele Hilfen zugesprochen bekommen, erhalten und Hilfestellungen wurden uns nahegelegt. Das Gefühl kann man nicht beschreiben, es ist eine Achterbahn der Gefühle, die man bis zu diesem Zeitpunkt nicht kannte, es ist nicht in Worte zu fassen. Den Alltag mit den Kindern zu Hause zu meistern stellt einem vor neue Herausforderungen, Amelie einzubeziehen, es ist unglaublich schwer. Derzeit ist sie in Aachen in der Universitätsklinik auf der Isolationsstation.“

Schließlich stellte sich jedoch kurz darauf, durch einen schriftlichen Hinweis der Uniklinik Aachen, der ebenfalls an unsere Redaktion gerichtet war, heraus, dass in der Klinik nie ein Mädchen namens Amelie behandelt wurde und es auch die von Holger B. beschriebene Therapieform in der Uniklinik Aachen nicht gibt. Holger B. jedoch soll sich in den vergangenen Monaten kostspielige Anschaffungen geleistet haben, wie zum Beispiel eine Drohne, ein Quad sowie ein neues Auto.

„Wir als Orgateam des Nettetaler Kindertages sind so froh, rechtzeitig gewarnt worden zu sein. Deshalb leiteten wir die Spendensumme von rund 3.000 Euro direkt und unmittelbar an die Kinderonkologie der Uniklinik Aachen weiter“, erklärt Sheila Klaffke (NeKiTa). „Rechtliche Schritte werden auch von unserer Seite aus geprüft, besonders gegen die öffentlichen Diffamierungen von unterschiedlichen Seiten, in punkto Live Videos, Postings und Kommentaren. Zum Glück sind sämtliche Beweise bei den sozialen Netzwerken gesichert. Da nützt es auch nichts, dass vieles zwischenzeitlich gelöscht wurde“, sind sich auch die Mitorganisatoren des Nettetaler Kindertages, Matthias Stahnke und Pamela Mele, einig.

Es waren Reporter der Sat.1-Sendung „Akte“, die die völlig ahnungslose Mutter und ihre zum Glück kerngesunde Tochter Amelie schließlich aufspürten. Holger B. hatte sich früh von beiden getrennt und seine Tochter praktisch gar nicht mehr gesehen. Amelies Mutter erstattete mittlerweile Anzeige bei der Polizei, wie ihre Schwester auch unserer Redaktion bestätigte. „Der Vater hat nie Interesse für Amelie gezeigt und auch keinen Unterhalt für sie gezahlt“, sagt sie.

Bei der Mönchengladbacher Polizei sind mittlerweile sieben Strafanzeigen gegen B. wegen Betrugs eingegangen. „Wir ermitteln gegen ihn. Es hat bei dem Mann auch schon eine Hausdurchsuchung stattgefunden“, sagt eine Polizeisprecherin. Wie viel Geld sich der Mönchengladbacher mit der Geschichte seiner vermeintlich erkrankten Tochter erschlich, ist noch ungewiss. Angeblich hatte einer der Anzeigenerstatter alleine schon über 4.000 Euro auf B.’s Konto gezahlt. Die Gesamtsumme von 15.000 Euro, die er angeblich für die Therapie seiner todkranken Tochter brauchte, waren vermutlich längst überschritten. Trotzdem sammelte er weiter Spenden ein. Die Polizei spricht nach dem aktuellen Stand von einem „deutlichen, fünfstelligen Betrag“.

Viele Betroffene drücken in den sozialen Netzwerken ihr Entsetzen über Holger B. aus. „Wir haben mit der Familie gelitten, jetzt ist unser Vertrauen in Spendenaktionen ein für allemal zerstört. Und schuld ist er“, lautet eine Formulierung bei facebook. Auch Irmi Rüttgens hatte, auf Wunsch einer Bekannten, ein Sparschwein für Amelie in ihrer Mönchengladbacher Gaststätte aufgestellt. „Ich habe schon oft an Krebs erkrankte Kinder unterstützt“, sagt sie. 1.380 Euro hatte sie Holger B. überreicht und weiter sammeln wollen. Doch dann entdeckte sie im Januar auf Facebook, dass sich der 41-Jährige eine Drohne angeschafft hatte. „Ich dachte: Das kann doch nicht wahr sein! Der Mann hat ein krankes Kind und sammelt Geld für die Behandlung. Da kauft er sich eine so teure Drohne.“ Sie rief in der Uni-Klinik an und erfuhr: Es gibt keine Patientin, die Amelie heißt und die von B. benannte Therapieform gibt es ebenfalls nicht.

Wir haben jetzt mit 31 Leuten eine Sammelklage erstattet“, sagt Rüttgers. Bereits im November 2017 hatte die Polizei in Mönchengladbach einen Hinweis bekommen, dass mit dem Spendenaufruf des 41-Jährigen etwas nicht stimme. Eine Frau hatte bei der Polizei Zweifel angemeldet, dass dieser eine Tochter mit diesem Namen und dieser Erkrankung habe. B. sei daraufhin vorgeladen worden, sagt die Polizeisprecherin. Angeblich soll er bei dieser Gelegenheit eine Bestätigung der Klinik vorgelegt haben, mit dem Nachweis, dass sich das Kind dort in Behandlung befinde. „Aber eine solche Patientenbescheinigung ist nie von uns erstellt worden“, sagt der Sprecher der Aachener Uni-Klinik, Mathias Brandstädter.

Die von B. vorgelegte, angebliche Bestätigung sei der Uni-Klinik von einem betroffenen Geschädigten Ende April dieses Jahres zugeschickt worden, erklärte Brandstädter auf Nachfrage. Dies habe man unverzüglich den Behörden mitgeteilt. Sie enthielt den Titel „Patienbescheinigung“ anstatt „Patientenbescheinigung“. Schon alleine dieser Umstand habe grundsätzlich aufmerken lassen müssen, so Brandstädter. Dennoch wurde das Ermittlungsverfahren im vergangenen Winter eingestellt, „weil damals kein hinreichender Tatverdacht vorlag“, heißt es bei der Mönchengladbacher Staatsanwaltschaft.

Nun wurden die Ermittlungen erneut aufgenommen, und die Mönchengladbacher Polizei geht davon aus, dass die Zahl der Strafanzeigen gegen Holger B. noch erheblich ansteigen wird. Seine Facebookseite ist mittlerweile verschwunden. Auf der Internetseite „Wirhelfenamelie.net“ steht der Vermerk: „Aufgrund von Unklarheiten haben wir die Spendenaktion beendet. Wenn Sie spenden möchten, tun Sie dies bitte direkt an die Uniklinik in Aachen.“

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