…Lars Reichow. Am Donnerstag, 19. September, tritt der Kabarettist, Pianist, Komponist, Sänger und Fernsehmoderator in der Kaldenkirchener KulturAula mit seinem Programm WUNSCHKONZERT auf.
Herr Reichow, als Kabarettist und Pianist verbinden Sie elegant intellektuelle und tiefsinnige Sprechtexte mit ebenso ausgefeilten melodischen Texteinheiten. Hatten Sie immer schon ein besonderes musikalisches Talent und einen bewussten Sinn für Humor, das heißt das Absurde und Komische im Leben zu erkennen und bewusst zu entlarven, vielleicht schon als Kind? Gab es bei Ihnen eine Karnevalsaffinität?
Das kann ich schwer beurteilen. Ich war sicher ein fröhliches Kind, immer sehr gut gelaunt und voller Ideen. Wir waren eine musikalische Familie umgeben von Kultur, Jazz und Literatur. In den Diskussionen zuhause und im Freundeskreis meiner Eltern spielte Wortwitz und Unterhaltungswert, die Zuspitzung, immer eine große Rolle. Die Fastnacht war nie ein Thema. Für mich war und ist aber bis heute der größte Reiz daran, verschiedene Rollen einzunehmen und sich womöglich noch zu verkleiden.
Zu meinem Beruf bin ich durch Zufall gekommen. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt. Aber es gefällt mir und ich genieße es bis heute: Es ist, als hätte ich mein Hobby, die gute Laune, zum Beruf gemacht.
Wie und in welcher Zeit erarbeiten Sie jeweils Ihr Programm, um eine solch herzerfrischende Bandbreite zu bieten? Wie wichtig ist der Wille, man könnte es auch Leidenschaft und Ehrgeiz nennen, Menschen, gesellschaftliche Entwicklungen und auch die eigene Person immer wieder neu analysierend und augenzwinkernd betrachten zu wollen? Gibt es hier auch Phasen, in denen eine regenerierende Schaffenspause mal Not tut?
Ich fang‘ mal mit dem Ende an: Es ist sehr wichtig, nicht immer etwas liefern zu müssen. Die Pausen sind Luxus, die lustigen Dinge, die dann passieren, einfach nur für den Privatgebrauch. Ich habe vor einigen Jahren tatsächlich den Drang verspürt, mich nicht nur über die Dinge „lustig zu machen“, sondern auch eine klare Haltung einzunehmen gegenüber den unerträglichen politischen Strömungen wie der AfD, Trump, Putins Krieg gegen die Ukraine, zuletzt BSW, leider in Teilen auch der FDP. Ich muss mich einmischen und kann nicht nur mit künstlerischer Eleganz mit dem Florett in die Zumutungen piksen. Vielleicht bin ich so geworden, weil mir Menschen begegnet sind, die eine unfassbare Gleichgültigkeit gegenüber der Demokratie, dem Klimawandel und den rechtsradikalen Tendenzen gezeigt haben.
Aus diesen Gründen sind meine Programme heute thematisch breiter aufgefächert: Ich will eine klare politische Haltung zeigen, ich liebe es, zwischenmenschliche Probleme groß zu machen und ich mache gerne Musik, schreibe Lieder. Über alldem möchte ich ein ausgelassener und optimistischer Mensch bleiben. Humor zu geben und darüber zu lachen, macht mich unendlich glücklich.
Das Lied Deutschland-Blues spiegelt das Bild des bequemen und träumenden Ego-Deutschen, der lieber im Ärger verweilt und fortgesetzt schlechte Laune schiebt, anstatt freundlich und (pro)aktiv in der Gegenwart anzukommen. Wann ist uns, oder vielen von uns, die Leichtigkeit, uns selbst Fragen zu stellen und zu beantworten, in den (inneren) Konflikt zu gehen und gelassen neue Strategien zu entwickeln, zumindest bedingt, abhandengekommen, und wie können wir wieder „mal was anfangen“?
Oh, das ist ein großes und wichtiges Thema: Mein Eindruck ist, dass Deutschland zu einem sehr bequemen, teilweise einfallslosen und auf einigen Gebieten unfähigen Land geworden ist. Wir wünschen uns „schöne Tage“, finden alles „großartig“ oder „perfekt“, aber dahinter steckt eine große und gefährliche Schwäche: Wir weigern uns, Veränderungen vorzunehmen. Ein Beispiel ist die energiepolitische Transformation, die von großen Teilen der Bevölkerung einfach nur stumpf abgelehnt wird. Das macht mich wahnsinnig traurig und wütend.
Kabarett sorgt nicht nur für Lacher, sondern provoziert auch, dass beim Zuschauer mal dasselbe im Halse stecken bleibt. Vielleicht so, dass der Mensch sich anfängt zu fragen: Darf so ein Witz überhaupt sein? Inwieweit bekommen Sie bei Auftritten und im weiteren Alltag gespiegelt, dass es ja hier geschmacklich gar nicht um den jeweiligen Gag geht, sondern um den die Realitäten entlarvenden Charakter?
Ich möchte nicht, dass mein Publikum schwer atmet, weil irgendwelche Lacher im Hals stecken. Ich will mit den Leuten atmen, vergnügt und regelmäßig nach Luft schnappen und dann auch wieder mit ganz ruhigem Puls. Ich will ihre Betroffenheit spüren, ihre Anteilnahme und den Willen, etwas zu verändern. Mein Ziel ist, nicht nur gut in Erinnerung zu bleiben, sondern wichtige und relevante Dinge anzusprechen oder anzusingen, ohne die Leichtigkeit zu verlieren, die Lebensfreude.
In diesem Sinne: Warum wirkt es gesellschaftlich so, als ob selbst der die Wahrheit sagende Narr, ein zeitloses Erbe aus dem Mittelalter, sich genau überlegen sollte, was er humorvoll zum Besten geben „darf“? Und sollte eigentlich nicht jeder Mensch frei, eben unbequem, sagen dürfen, wenn „der Kaiser“ in der eigenen Wahrnehmung „nackt ist“?
Wir sind sehr freie Menschen. In unserem Land herrscht sogar ein Übermaß an Meinungsfreiheit. Wir sind im Begriff, uns vor lauter Leserbriefen, Eingaben, Einmischungen, Umfragen und Beteiligungen fast zu verzetteln. – Die Frage ist, ob wir noch mit unserer Freiheit umgehen können oder ob sich manche schon heimlich vorstellen können, „beherrscht“ zu werden. Ich will in meinen Programmen jemand sein, der dem Publikum eine geordnete Welt zeigt, in der das Normale und die Vernunft am Ende überzeugen. Eine gerechte und warmherzige Welt voller Neugier und Tatendrang und eine Welt, die über sich selbst lachen kann.
Vielen Dank, Herr Reichow, für das interessante und erfrischende Interview!
(Interview: Medienagentur Niederrhein, Susanne Jansen, Foto: Alexander Sell)