WDR-Kult-Talker in der Werner-Jaeger-Halle


– Jürgen Domian redet : „Vielfältig ist der Mensch, aber auch unglaublich abgründig“ –

Lobberich (sp). „Die tägliche Sendung hat mein Leben geprägt, aber ich bin nie abgestumpft oder zynisch geworden. Viele Dinge habe ich mit nach Hause genommen, habe aber nie heulend das Studio verlassen“, reflektiert Journalist Jürgen Domian, nach fast 22 Jahren als Telefon-Moderator der nach ihm benannten Kultsendung im WDR. „Was ich gelernt habe, ist Demut.“ Viel Fröhliches, aber ebenso viel Trauriges habe er nachts erfahren; so habe er auch mit einer Vielzahl traumatisierter Menschen gesprochen, berichtet der feinfühlige Nighttalker im persönlichen Interview mit 1LIVE-Moderator Andreas Bursche. „Ich empfand es als Besonderheit und habe es genossen, mit derart vielen unterschiedlichen Menschen über so viele facettenreiche Themen sprechen zu können. Immer wenn ich ein Gespräch begann, hatte ich sehr schnell ein Gefühl dafür, ob es eine lustige oder traurige Wendung nehmen würde.“ Komisch wirkende Erlebnisse gab Domian zum Besten, aber auch Details, die schockierend nach wirkten oder solche, die sehr berührten, so dass es mitunter absolut still in der Werner-Jaeger-Halle wurde. 

Seit dem vergangenen Jahr jedoch ist Schluss mit dem „Daily Nighttalk“ – Domian musste aus gesundheitlichen Gründen aufhören. Seitdem tourt er mit seinem Programm „Jürgen Domian redet“ durch Nordrhein Westfalen. „Ich hatte über 21 Jahre lang keinen normalen Lebensrhythmus. Die Ärzte haben zu mir gesagt: Was Sie machen, ist wider die Natur und nicht gut für Ihre Gesundheit.“ Unter anderem zwangen ihn zwei Hörstürze schließlich zum Aufhören. „Ich vermisse die Gespräche mit den Menschen sehr und bin nach wie vor eine faszinierte Nachteule. Trotzdem genieße ich aber auch meinen neuen Lebensrhythmus“, fasst Domian zusammen und fügt schmunzelnd hinzu: „Ich finde es allerdings nach wie vor exotisch, morgens um 9.30 Uhr Brötchen zu holen.“ Er freue sich außerdem, dass er nun wieder soziale Kontakte pflegen sowie ins Kino und entspannt essen gehen könne. „Das war früher einfach nicht möglich. Ab 18, 19 Uhr begann ich für die bevorstehende Nachtsendung zu arbeiten.“

Als die billigste Fernsehsendung der ARD bezeichnet Domian das Format, das erstmalig im April 1995 und final im Dezember 2016 ausgestrahlt wurde: „Ich habe alles selbst gemacht – mich um die Beleuchtung gekümmert, die Kamera war stets programmiert, und wir hatten nur einen Techniker.“ Domian beginnt zu lächeln und sagt: „Sigmar Gabriel hat mich oft nachts im Fernsehen gesehen, wenn er nach einer Tagung in einem Hotelzimmer oder im Taxi saß und hat mir einmal geschrieben, wie froh er sei, auf diese Art noch etwas vom normalen Leben mitzubekommen.“ Viele weitere Menschen bedankten sich außerdem im Laufe der Jahre schriftlich bei ihm, weil er durch sein Zuhören und Reflektieren geholfen habe. „Nach jeder Sendung haben wir uns im Studio noch zusammen gesetzt und die Gespräche nach besprochen. Außerdem haben wir die Menschen, wenn sie direkt Hilfe brauchten oder dies offensichtlich war, sofort mit unseren Psychologen verbunden.“ Dabei habe er immer wieder die Anrufer bewundert, die grandios mutig und mit großer Tapferkeit ihr Schicksal ertragen haben, wie todkranke oder gequälte Menschen. Im Jahr 2003 wurde Domian für sein besonderes soziales Engagement mit der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

Was ihn immer wieder fasziniere, sei die Vielfalt der Menschen sowie auch der Facettenreichtum ihrer gelebten Sexualität, zum Beispiel wenn es um Fetische gehe. Es beginne mit einem kleinen Reiz, und den wolle der Mensch häufig vertiefen; darin liege auch die Gefahr. „Nach fast 22 Jahren erhält man kein besseres Bild: Ich habe in unglaubliche menschliche Abgründe geschaut. In meiner Wahrnehmung haben sich quasi die Koordinaten verschoben: Der Mensch ist bisweilen ein Raubtier mit unglaublicher Brutalität“, sagt er ernst. So habe es unter anderem auch viele persönliche Telefongespräche mit Pädophilen gegeben. Dies habe ihm jedoch häufig harsche Kritik eingebracht. „Wie kannst Du solchen Leuten eine Bühne bieten?“, wurde er oft entsetzt gefragt. Ihn habe diese Kritik sehr wütend gemacht: „Wenn ich schon die Chance habe, dass sich jemand freiwillig meldet, dann ist es meine Bürgerpflicht zu erreichen, dass sich derjenige in Therapie begibt! Genau dafür lohnt sich das Gespräch!“ Im Dialog habe er generell erst mal jeden ernst genommen und eben auch diese Menschen mit Worten erreicht, die sich sonst niemals geöffnet und offenbart hätten.

Am Ende eines Auftritts mit vielen komischen, aber auch traurigen sowie berührenden Momenten suchte Jürgen Domian, gemeinsam mit Andreas Bursche, die Nähe des Publikums, um auf persönliche Fragen und Kommentare einzugehen. „Was machst Du, wenn es Dir mal schlecht geht?“, wurde er unter anderem gefragt. „Ich habe immer Menschen, mit denen ich darüber reden kann“, antwortet er lächelnd. Auch beruflich geht es für ihn natürlich weiter: Um weiterhin dem Medium Fernsehen treu bleiben zu können, so erzählt er, sei ein neues Format geplant, in dem er Menschen im Gespräch treffe – allerdings in Natura: „Ich möchte meine Interviewpartner gerne von Auge zu Auge kennen lernen.“

Text und Fotos: Susanne Peters

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