Einfach mal so…


Kommentar von Susanne Jansen

Vor vielen Jahren habe ich in einer schulischen Vertretungsstunde quasi unfreiwillig an einem Crashkurs zum Thema Improvisation auf der Bühne teilgenommen. Der Lehrer war dafür bekannt, dass Theater und Schauspiel seine Steckenpferde waren. Die Bühne war der Klassenraum, und die Aufgabe lautete: „Du begegnest einer fremden Person. Du darfst über alles sprechen, nur nicht übers Wetter.“ Denn dazu tendieren Menschen ganz schnell, weil es ein gemeinsames Thema ist, das uns alle gleichermaßen betrifft, umso mehr wenn man die Hemmschwelle des Unbekannten überwinden muss.

Dieses Unterfangen war also, vor allem für jemanden wie mich, gar nicht so einfach. Ich war damals so schüchtern, dass ich aus Versehen ganz schnell beim Wetter gelandet bin. Vielleicht war es auch ein psychologischer Trick meines Unterbewusstseins, um möglichst schnell aus der Nummer rauszukommen. 😉 Aber heute ist mir eine ähnlich geartete Situation nicht mehr peinlich, zumindest werde ich nicht mehr rot. „Smalltalk“ – oder im deutschen Volksmund „oberflächliches Geplänkel“ – kann ich nicht, jedoch gehört dieser zum Menschsein dazu. Und alles, was menschlich ist, sollte keinen Anlass zur vertieften Peinlichkeit geben, sondern zum lockeren Umgang führen – finde ich. Über Jahrzehnte langfristig geübt, stellt sich irgendwann eine gewisse Souveränität ein, gefühlte Peinlichkeiten werden zum Glück seltener. Bei einer Begegnung mit einem Menschen, den man nicht kennt oder den man lange nicht gesehen hat, fehlen eben Bezugspunkte. Natürlich ergibt sich kein fruchtbarer Dialog, wenn einfach drauf los schwadroniert wird. Aber das ist ja auch nicht in jeder Art von Alltagssituation wichtig. Viel essenzieller ist doch ein netter, freundlicher Umgang. Oder?

Warum erzähle ich das? Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber aktuell erlebe ich wiederholt skurrile Situationen, bei denen ich mich fragen muss: Warum ist das so oder besser: Warum wiederholt sich das neuerdings? In einem Drogeriemarkt sprach mich kürzlich eine junge Frau, in Begleitung einer weiteren, an. Eigentlich war es kein Ansprechen, sondern eher ein grußloses akzentfreies Anschnauzen, mit dem Gefuchtel einer Pflegecremetube vor meiner Nase. „Ey, was ist das für eine Creme? Ist das nur Dekolletee, oder was, oder für Gesicht? Wofür ist das?!?“

Natürlich bin ich irgendwann auch mal um die 20 Jahre alt gewesen. Aber eine solche Ansprache, habe und hätte ich schon damals nicht gewählt. Ich bin aber nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, hier kommt gerne das profilierte Modell Käseglocke zum Einsatz. Ein Blick auf den Text der Tube reichte, um seelenruhig Auskunft zu geben. Jedoch dachte ich ebenso: Einfach selber lesen hätte auch gereicht. Wie gesagt – „dachte ich“. Ich bekam daraufhin einen Tiegel vor die Nase gehalten mit den Worten: „Ist DAS für Gesicht?!?“ „Ja! Bitteschön!“, antwortete ich resolut, machte sicherheitshalber eine Kehrtwendung und bewegte mich, allmählich innerlich seufzend, zum nächsten Gang, ohne mich noch einmal herumzudrehen.

Was geht mir in einem solchen Moment durch den Kopf? „Die Jugend von heute“? Weit gefehlt! Eine kurze Weile später fand ich mich in einem Discounter in einer ähnlichen Situation wieder. Dort sprach mich eine etwa 60-jährige Frau an, nachdem IHRE Aufmerksamkeit MEINER Energie gefolgt war, während ich die Schnittblumen und weitere Pflanzen begutachtete. Sie blickte auf die beiden schmalen Tulpensträuße in meinem Einkaufswagen und forderte sehr bestimmt: „Ach, was kosten denn die Tulpen? Ich sehe hier keinen Preis.“ Ich war etwas perplex und antwortete erst gar nicht, angesichts des unfreundlichen Tonfalls, ohne ein vorausgeschicktes „Hallo, ich habe eine Frage…“ oder „Können Sie mir bitte mal helfen…“. Wohlwissend dass dort die Tulpen immer den gleichen Preis hatten, antwortete ich freundlich: „Scannen Sie doch den Barcode.“ Daraufhin folgte ein zielgerichtetes unreflektiertes: „Ach, Sie wissen auch nicht, was die Blumen kosten? Ist Ihnen das egal?“

In diesem Moment überwältigte mich zugegebenermaßen ein innerer Durchmarsch. Wohlgemerkt: ein innerer. Was ich spontan Schlagfertiges gedacht habe, schreibe ich hier nicht, denn sonst wird es undamenhaft. Ich drücke es mal verträglich aus: „Selbstverständlich ist es mir egal. Ich habe eine Geldmaschine im Keller. Sie nicht?“ Wohlgemerkt: Ich habe nur gedacht – und sie einfach stehen gelassen.

Das sind nur zwei von ein paar weiteren Beispielen, im Laufe der Zeit. Natürlich gibt es im Alltag auch viele nette Ansprachen. Und ich selbst habe auch schonmal schlechte Tage, an denen ich zum Beispiel sehr übermüdet bin. Dann bin ich eher ruhig, eben nicht sehr gesprächig, auch schon mal haspelnd, aber immer noch freundlich. Freundlichkeit kostet nichts und tut nicht weh. Das ist jedenfalls meine Erfahrung. Und das ändert sich für mich auch nicht. Aber insgesamt scheint mir der Ton im persönlichen Umgang doch rauer geworden. Ich weiß nicht, ob es „nur“ an den vielen gesellschaftlichen Problemen dieser Zeit liegt. Vielleicht spielen hier auch die Sozialen Netzwerke eine Rolle, wo jeder mit jedem plötzlich „bekannt“ und per Du ist und alles und jeden aus dem Stand und einer mehr-oder-weniger-Anonymität heraus bewerten „darf“. Im realen Leben, so ist mein Eindruck, wird aber doch der eine oder andere Kopf in den Sand gesteckt, anstatt echte Probleme zu lösen oder auf Augenhöhe und mit Niveau zu diskutieren. Ich meine jetzt nicht Blümchen oder Hautcremes betreffend, sondern politische, wirtschaftliche und die Umwelt betreffende Herausforderungen. Die Dinge, die uns alle angehen. Hier würde ich mir das Umlegen des einen oder anderen Schalters wünschen, Bewusstmachung, eine Neujustierung, (Selbst)Reflektion und wie gesagt: Freundlichkeit tut nicht weh und kostet nichts. Gleichermaßen verhält es sich mit dem Verzeihen (auch sich selbst) – es tut nicht weh und kostet nichts, ganz im Gegenteil: Es schenkt ein gutes Gefühl.

Text: Medienagentur Niederrhein, Susanne Jansen, Foto: pixabay

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