Mordlust und mehr in der Telefonzelle Gier


– Für Leseratten: Die kleinste Bücherei der Welt –

Von Susanne Jansen

Breyell. Seit fast 1.200 Tagen steht die kleinste Bücherei, in Form einer alten Telefonzelle, auf der Breyeller Gier. „Je nach Saison tausche ich zum Teil. Derzeit räume ich wieder die Bücher für die Weihnachtsbäckerei ein. Vor den großen Ferien sind jeweils Strandlektüren, wie klassische Frauenromane und Krimis, äußerst gefragt. Auch die ‚Kinderecke‘ ist sehr gut bestückt“, erzählt Peter Nisters, der die Minibücherei vor über drei Jahren eröffnete, strahlend. „Es läuft nach wie vor prima, ich habe immer ein paar hundert Bücher in meinem Büro gelagert, unter anderem auch Heimatbücher, Reiseführer, Asterixhefte und großformatige Bildbände mit Liebhaberwert.“ Manchmal bekomme er Literatur, die, kaum dass sie in der Zelle steht und er sie in den Sozialen Netzwerken veröffentlicht hat, sofort schriftlich reserviert und abgeholt wird.

Die zur Minibibliothek umfunktionierte Telefonzelle gehörte zum ausgemusterten Bestand der Telekom. Damals veräußerte das Unternehmen seine alten Zellen für 450 Euro pro Stück. Heute wird das Kleinod für rund 2.000 Euro bei ebay gehandelt. Die winzige Bücherei steht in etwa dort, wo bereits früher eine Telefonzelle stand. Nisters erinnert sich: „In jungen Jahren haben wir uns mit einer Kiste Bier da reingestellt und den 1. Mai gefeiert, als es regnete. So etwas gibt es ja heute gar nicht mehr; es war eben unsere Jugendzeit, und die ist mit ganz besonderen Erinnerungen verknüpft.“ Ersatzteile für einen potenziellen Reparaturbedarf gebe es noch, auch Spezialisten, die sich kümmern, versichert der Breyeller, selbst ein leidenschaftlicher, vielseitig interessierter Leser, der einen eigenen Spezialschlüssel für kleine Reparaturen besitzt.

Was macht die ehrenamtliche Minibücherei für ihn so wertvoll? Er biete ein kostenfreies und jederzeit am helllichten Tage, zugängliches Leseangebot für alle. „Ich bekomme hier richtig tolle neuwertige Bücher, die man einfach nicht aus der Hand legen kann und bis zum Ende liest. Dabei mache ich selbst natürlich auch unterschiedliche Erfahrungen“, sagt Nisters schmunzelnd. So habe er einen Eifelkrimi empfohlen bekommen, den er selbst recht langweilig fand. „Dann habe ich erfahren, dass der begeisterte Leser selbst in der Eifel wohnte – er kannte dort sämtliche Schauplätze und quasi jeden Grashalm. Das war dann für ihn eine Geschichte mit Heimatbezug und besonderem Identifikationswert. Mich hat das an den von mir buchstäblich verschlungenen ‚Der Lambertimord’, in unserem heimischen Breyell spielend, von Arnold Küsters erinnert, indem sogar unser karnevalistisches Wöles-Zelt erwähnt worden war.“

Bücher achtlos wegzuwerfen, finde der Breyeller generell zu schade. „Ich entsorge höchstens solche, wie zum Beispiel Lexika aus den 80ern oder etwas wie ‚Olympiade 1976‘. Und was den Zustand betrifft: Ein Eselsohr oder leichte Gebrauchsspuren sind ja grundsätzlich normal, aber extrem abgenutzte Bücher oder klebrige werden natürlich ebenfalls aussortiert.“ Die meisten Schmökerfreudigen, die auch häufig neue Ware bringen, seien sehr nett, so lautet seine Erfahrung. „Hier ist wirklich jeden Tag Betrieb. Ob Kinderbücher, Klassiker, unterschiedliche Romane, Krimis oder auch DVDs – der Austausch findet täglich statt. Daneben gibt es zum Glück nur wenige, die unsere Minibücherei für eine Entsorgungsstation zu halten scheinen.“

Nisters hat Spaß an der Interaktion und natürlich auch am niederrheinischen Klängern. „Ich habe einen Bekannten, der Biografien sammelt; er meldet sich regelmäßig bei mir und fragt direkt nach, ob ich etwas für ihn habe!“ Mindestens einmal am Tag gehe er in die Telefonzelle, um den Bestand zu sichten. „Hin und wieder klingelt jemand bei mir und bedankt sich. Ich bekomme auch schonmal direkt eine Tafel Schokolade in die Hand gedrückt. Manchmal finde ich welche in der Telefonzelle. Da geht einem auch so ein bisschen das Herz auf!“

Titelbild: Selbst begeisterter Leser und Eigentümer einer der kleinsten Büchereien der Welt: Peter Nisters. Text und Foto: Medienagentur Niederrhein, Susanne Jansen

, , , ,