Schule als Mensch leiten


– Das Leben leben und wertschätzend bleiben –

Von Susanne Jansen

Kaldenkirchen. Ende Januar ging Joachim Sczyrba in den Ruhestand. Zwölf Jahre lang war der Lehrer für Religion und Mathematik als Leiter der Realschule Kaldenkirchen im Dienst gewesen. Er blickt zurück: „Mir ging es während der ganzen Zeit darum, die Schule als Mensch geleitet zu haben, nicht als jemand, der die Rolle ‚Schulleiter‘ spielt und dabei nur nach Normen und Gesetzen handelt. Natürlich war ich der Bezirksregierung gegenüber stets loyal, aber eben nicht unkritisch.“

Pragmatisch pädagogisch

Sczyrba, der gerade seinen 66. Geburtstag gefeiert hatte, vermutet, dass er aufgrund seiner kritischen Haltung und wegen seines zum Wohle der Kinder pragmatisch pädagogischen Handelns frühzeitiger pensioniert wurde. Überrascht sei er über diesen Zeitpunkt vor allem gewesen, weil er gerne die Schüler und die Lehrkräfte bis zum Ende des Schuljahres begleitet hätte. Jedoch blicke er zufrieden auf das zurück, was während seiner Leitung an der Realschule umgesetzt und verbessert worden war. Unter anderem wurde das Hauptgebäude modernisiert und attraktiver gestaltet, eine Kulturaula mit einem außerordentlich guten Equipment wurde geschaffen sowie eine sehr gute mediale Ausstattung in allen Klassenräumen. „In diesem Zusammenhang möchte ich mich noch mal bei der Stadtverwaltung Nettetal, als Träger der Schule, für ihren Einsatz danken.“ Der pensionierte Schulleiter erinnert sich weiter: “Mit meinem Dienstantritt im Jahr 2012 habe ich direkt einen Schulsanitätsdienst eingerichtet, einen Defibrillator für Notfälle installiert und in diesem Bereich ausgebildet.” Obendrein wurden durch Unterstützung seitens des Fördervereins Fitnessgeräte fürs Außengelände angeschafft, “an denen die Kinder in den Pausen Motivation zu Bewegung und Sport erhalten.“

Sehen-Urteilen-Handeln

Besonders froh sei der Kempener über die gesicherte tägliche Betreuungszeit, bis 16 Uhr, durch die Firma ‚Kinder-Zeit‘. „Unter dem Motto ‚Sehen, Urteilen, Handeln‘ haben wir außerdem geschaut, was sich familiär verändert hat und welche Unterstützung ein Kind jeweils braucht.“ Besonders hilfreich sei dabei die Grefrather ‚Familien-Werkstatt‘, die, im Schulterschluss mit dem Jugendamt, in der Realschule einen festen Pool von fünf Integrationshelferinnen etabliert hatte, erzählt er. Was sich aus Sczyrbas Sicht vor rund neun Jahren als problematisch erwies, sei die Schließung der Kaldenkirchener Hauptschule gewesen. Die Kinder mit Hauptschulempfehlung gibt es immer noch, auch um sie müssen wir uns bemühen. Das haben wir ebenfalls gemacht. Ich bin froh, dass die Realschule erhalten wurde. Denn alles platt machen und etwas Neues bauen, das sich überhaupt nicht bewährt hat, das wäre der größte Fehler.“ Er finde es schade, dass ein in Rheinland-Pfalz umgesetztes Modell wie die ‚Realschule plus‘ nicht in Nordrhein-Westfalen realisiert werden darf, was aus seiner Sicht politisch begründet sei. „Meinem Eindruck nach geht es hier nicht um das Kindeswohl – aber ich bin zuversichtlich, dass sich bald auch in NRW eine Gesetzesänderung diesbezüglich anbahnen wird.“

Willkommenskultur

Zur hitzigen, vor ein paar Wochen entbrannten, Diskussion über die Unterbringung der Flüchtlinge in der Nähe der Schule sagt er, dass sich die Fachleute vor Ort trafen, um mögliche Probleme zu lösen. So wurde wunschgemäß ein Sichtschutz geschaffen, damit die Kinder in den Klassen nicht von ihrer Konzentration abgelenkt werden. „Grundsätzlich sollten wir uns nicht von aufgebauschten Ängsten leiten lassen. Wir müssen lernen, eine Willkommenskultur an den Tag zu legen. Wir alle sind geboren, um zu leben“, ist Sczyrba überzeugt. Er finde das Zitat der Gruppe Unheilig hier sehr passend, davon könne man sich leiten lassen. Ebenso von dem von Empathie geleiteten Motiv, dass alle Menschen Wertschätzung erfahren wollen, als Erwachsene genauso wie als Kind. „Leider wird das manchmal mit Füßen getreten“, so lautet seine Erfahrung. „Es geht nicht nur darum, selbst geschätzt zu werden, sondern sich auch für eine wertschätzende Begegnung dem anderen gegenüber einzusetzen. „Wir sind nicht geboren, um einander zu bekämpfen und um Einsichten erst dann zu gewinnen, wenn jemand gestorben ist. Man kann auch immer Bedenken aussprechen und gemeinsam Lösungen durch ‚Sicherheitssysteme‘ schaffen.“

Vorbild

Aus menschlicher Sicht gebe es immer auch ein paar schwierige Kinder, unabhängig von der Nationalität. „Sie müssen zu einem Verhalten erzogen werden, so dass menschlich alle miteinander klarkommen.“ Diffamierung, ein wiederkehrendes Dilemma, sei immer ein schlechtes Mittel der Wahl und schüre nur Aggressionen. „Vor allem problematisch ist es heutzutage, dass Kindern das Lernen schwerer fällt. Digitalisierung ist etwas Gutes, keine Frage!“, betont der 66-Jährige, „aber es wirkt sich als Problem auf die Kinder aus, wenn Eltern doch Vorbild sein sollten und in ihrer Gegenwart häufig nur noch auf das Handy fokussiert sind und so ihrem Erziehungsauftrag nur bedingt nachkommen können.“

Schule als Heimat

Der pensionierte Schulleiter lächelt. „Schule ist für mich Heimat geworden, da muss ich jetzt auch loslassen. Als Tretmühle habe ich den Schulbetrieb nie empfunden, viel zu gerne bin ich in die Schule gegangen und habe mich über die Begegnungen mit Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften gefreut.” Eine nette Anekdote aus dem Schulalltag hatte der Kempener natürlich auch noch parat: „Ein Kind brachte mir seinen Hamster namens Arthur, im Käfig, weil es das Tier nicht länger zu Hause halten konnte. Von da ab lebte der Hamster im Schulleitungsbüro, und weil er ja nachtaktiv war, wurde er als ‚Nachtwächter Arthur‘ der Realschule Nettetal in die Galerie der an der Schule Beschäftigten eingefügt“, erzählt er amüsiert.

Freiheit

Natürlich freut sich Sczyrba auch auf den Ruhestand. „Ich habe mehr Zeit für meine Familie. Aber ich sehe auch viele weitere Möglichkeiten, mich mit und für Menschen einsetzen zu können.“ Ihm sei bereits im Vorfeld schmackhaft gemacht worden, dass er jetzt nicht mehr arbeiten müsse, sondern könne. „Auf diese damit verbundene Freiheit freue ich mich natürlich sehr.“

Text und Titelbild ( Medienagentur Niederrhein, Susanne Jansen):

„Wir sind geboren, um zu leben und sollten uns nicht von aufgebauschten Ängsten leiten lassen“, betont Joachim Sczyrba.

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