– Altes Wissen erhalten und weitergeben –
Von Susanne Jansen
Lobberich. Wie lässt sich ein neuer Apfelbaum mit erwünschten Eigenschaften für den eigenen Garten züchten? Ein Besuch des NABU Naturschutzhofes im Sassenfeld hilft, denn Hartmut Wunderlich weiß es: „Einjährige Triebe, so genannte Edelreiser in der Variante 111, werden auf einer passenden Sämlings- oder Abrissunterlage veredelt.“ Was eher wissenschaftlich klingt, ist in Wahrheit kein Hexenwerk, sondern es handelt sich um eine Herzensangelegenheit: In seinem Workshop erklärt der Schaager den Mitarbeitern des Hofes mit viel Begeisterung und sehr geduldig das Veredelungsverfahren. „Mir ist es vor allem wichtig, die alten Apfelsorten zu erhalten, damit sie nicht vollständig verloren gehen, wie zum Beispiel Goldparmäne, Freiherr von Berlepsch und den Rheinischen Bohnapfel.“
Die Jungtriebe zur Erhaltung hatten die Mitarbeiter des Workshops zuvor in Streuobstwiesen gesammelt und geschnitten. Jeder für sich veredelte nun auf einer Sämlings- oder Abrissunterlage mit dem Resultat, einen Hochstammbaum oder einen nicht so wuchtigen und hohen Gartenbaum heran zu züchten. Durch das Verwachsen, im Laufe der Zeit, vereint die neu gezüchtete Pflanze die Eigenschaften beider Partner, erklärt Wunderlich lächelnd.
„Die alten Apfelsorten lassen sich länger lagern, und sie verfügen über viele gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe“, erklärt er lächelnd. „Das erkennt man an einer bio-chemischen Reaktion: Schneidet man einen Apfel aus einer Streuobstwiese durch, fängt er nach kurzer Liegezeit an, unansehnlich braun zu werden. Das sieht nicht schön aus, ist aber ein signifikanter Hinweis für den hohen Nährstoffgehalt.“ Eine moderne Apfelspalte hingegen bleibe einen halben Tag lang hell und farblos. „Diese Erkenntnis ist auch wichtig für Menschen mit Apfelallergie, denn die alten Sorten werden besser vertragen.“
Eine Bekannte habe Wunderlich über ihre Apfelunverträglichkeit berichtet. „Sie hat mal vorsichtig einen aufgeschnittenen Santana an ihre Lippe getupft. Als nichts passierte, hat sie später eine Spalte der alten Apfelsorte gegessen und diese ebenfalls vertragen. Sie war total glücklich und wollte selbst gerne einen Baum in ihrem Garten haben.“ Gesagt, getan. Sie habe sich Edelreiser und Santana-Äpfel besorgt, und Wunderlich veredelte ihr die alte Sorte. „Mittlerweile hat sie drei Santana-Bäume im Garten“, erzählt er und fügt schmunzelnd hinzu: „Sie hat nun ihren ur-eigenen Santana-Apfel und genießt es sehr, dass sie endlich Äpfel essen kann.“ Es sei nicht wichtig, ob so eine alte Sorte heute unter anderen Bedingungen aufwachse als früher, stellt er fest. „Ausschlaggebend ist es vor allem, sich an bestimmte Regeln zu halten und die Technik zu beachten.“
In den heutigen Neubaugebieten sind die Grundstücke relativ klein, große Gärten, mit viel Platz für Hochstammbäume, gibt es hier nicht mehr. „Hier kann man eben auf die so genannte Variante 111 veredeln; dieser Baum wird maximal 2,50 bis drei Meter hoch und ist nicht so ausladend wie die größeren. So werden die alten Sorten wenigstens erhalten, und diese kleineren Bäume sind auf jeden Fall für den privaten Gebrauch außerordentlich ertragreich.“
Der Naturliebhaber liebt sein Handwerk und gibt es für die nächsten Generationen weiter. „Wenn Sie heute in eine Baumschule gehen und sagen: Ich habe hier im Garten einen schönen alten Baum. Kann man den nicht erhalten? Dann lautet die Antwort: Unsere Schüler lernen das nicht mehr, sie wollen es auch nicht mehr. Das finde ich schade.“ Er selbst hat sich das Veredeln unter Anleitung eines ehemaligen Gärtnermeisters angeeignet. „Das wissen auch wir sehr zu schätzen“, bekräftigt Wiebke Esters, Leiterin des Naturschutzhofes, strahlend. „Wir haben sehr viel davon und freuen uns sehr. In zwei Jahren wird es auch bei uns endlich Santana geben, die wir dann auch verkaufen können.“
Text und Titelbild: Geduldig demonstriert Hartmut Wunderlich den Vorgang des Veredelns. Foto: Susanne Jansen